Ein Blick in die Geschichte – Besichtigung des Tallinner Rathauses

Das Tall­in­ner Rat­haus befin­det sich im Zen­trum der histo­ri­schen Alt­stadt und wird auch als Herz der est­ni­schen Haupt­stadt bezeich­net. Bereits seit mehr als sie­ben­hun­dert Jah­ren ist das Gebäu­de stum­mer Zeu­ge der Ent­wick­lung der Han­se­stadt am fin­ni­schen Meerbusen.

Das mar­kan­te Gebäu­de am Tall­in­ner Rat­haus­platz ist das ein­zi­ge erhal­te­ne goti­sche Rat­haus in Nord­eu­ro­pa und wur­de bereits 1322 erst­mals urkund­lich erwähnt. Zuerst war es noch ein ein­stöcki­ges Sand­stein­ge­bäu­de, dass in den fol­gen­den Jahr­hun­der­ten immer mehr aus­ge­baut und erwei­tert wur­de. Dazu zäh­len auch deko­ra­ti­ve Ele­men­te wie die Turm­spit­ze oder Was­ser­spei­cher in Form von Dra­chen­köp­fen. Sie stam­men aus dem Jahr 1627 und wur­den vom Kup­fer­schmied Dani­el Pöp­pel gefertigt.

Die ori­gi­na­le Wet­ter­fah­ne steht übri­gens heu­te im Ein­gangs­be­reich, dort, wo Besu­cher ihre Ein­tritts­kar­ten für die Besich­ti­gung kau­fen und den Rund­gang durch das histo­ri­sche Gebäu­de star­ten. Im Volks­mund Vana Too­mas (Alter Tho­mas) genannt, wacht der hand­ge­schmie­de­te Stadt­wäch­ter schon seit 1530 über das Rathaus.

Fünf Euro kostet der Ein­tritt in das Rat­haus, die, wie im super digi­ta­li­sier­ten Est­land üblich, natür­lich auch mit Kar­te gezahlt wer­den kön­nen. Die Erklä­run­gen sind übri­gens auch in Deutsch vor­han­den, sodass einem Rund­gang nun kaum etwas im Wege steht, wären da nicht die doch sehr beschränk­ten Öff­nungs­zei­ten, denn das fan­ta­sti­sche Gebäu­de ist für Besu­cher nur in den Mona­ten Juli und August geöff­net. Anson­sten wird es für offi­zi­el­le Funk­tio­nen der Stadt genutzt.

Sei es drum, wer im Som­mer in Tal­linn ist, bekommt auf dem Rund­gang durch das über sie­ben­hun­dert Jah­re alte Gebäu­de aber eini­ges gebo­ten. Erst ein­mal geht es über eine brei­te Trep­pe ins erste Ober­ge­schoss, wo sich die Prunk­räu­me befinden.

Am Ende der Trep­pe liegt der wohl wich­tig­ste Raum des Gebäu­des, der Bür­ger­saal. Zwi­schen 1402 und 1404 fand der letz­te gro­ße Umbau des Gebäu­des statt, wäh­rend dem auch die­ser präch­ti­ge Raum ent­stand. Schon im Mit­tel­al­ter wur­den hier aber auch präch­ti­ge Feste und Emp­fän­ge gefei­ert, auf denen oft Wan­der­mu­si­kan­ten und Schau­spie­ler ihre Kunst zum Besten gaben.

Wie in der goti­schen Archi­tek­tur üblich, ist das Vor­haus, wie der heu­ti­ge Bür­ger­saal einst genannt wur­de, ein gewölb­ter und licht­durch­flu­te­ter Raum. Beson­de­re Akzen­te set­zen die far­bi­gen Pfei­ler und Bögen. Ein klei­ner Teil der Far­be ist noch ori­gi­nal aus dem 16. Jahr­hun­dert erhalten.

An den Wän­den hin­ge­gen sind flä­mi­sche Wand­tep­pi­che zu fin­den, die der Tall­in­ner Stadt­rat 1547 in den Nie­der­lan­den bestell­te. Heu­te hän­gen hier aller­dings nur noch Kopien, denn die wert­vol­len Ori­gi­na­le sind längst ins Muse­um gewan­dert. Erzählt wird auf den Wand­tep­pi­chen die Geschich­te von König Salomo.

Aus den Fen­stern hat­ten schon den Rats­her­ren einen schö­nen Aus­blick auf den Rat­haus­platz, den heu­te auch die Besu­cher genie­ßen können.

Vom Bür­ger­saal führt ein recht unschein­ba­rer Durch­gang in den histo­ri­schen Rats­saal. Von hier wur­den einst die Geschick­te der Han­se­stadt gelei­tet und hier fin­det sich die reich­ste Ver­zie­rung im gan­zen Gebäu­de. Wun­der­schön anzu­se­hen ist das alte Rats­ge­stühl, das bereits um 1370 ange­fer­tigt wur­de. Auf den Sei­ten­tei­len sind Sze­nen aus Tri­stan und Isol­de sowie Sam­sons Kampf mit dem Löwen dargestellt.

Wäh­rend einer Reno­vie­rung im17. Jahr­hun­dert wur­den die acht Lünet­ten­bil­der im Raum ange­bracht. Sie zei­gen Legen­den aus der Bibel, die 1667 vom Lübecker Maler Johann Aken geschaf­fen wur­den. Jede Sze­ne ver­fügt dabei über eine Erklä­rung in deut­scher Sprache.

Wun­der­schön auch die hand­ge­schnitz­te Umrah­mung der Bil­der. Und wer genau hin­schaut, ent­deckt dar­an den Kopf eines Man­nes. Es das Abbild des Künst­lers, der sich hier selbst ein Denk­mal set­zen ließ.

Unter den Bil­dern, in die Wän­de ein­ge­las­sen, befin­den sich klei­ne Schrän­ke, in denen die Kost­bar­kei­ten des Rat­hau­ses aus­ge­stellt sind.

Dazu gehört eine Urkun­de, in der der König von Schwe­den, Gustav II. Adolph, der Stadt Reval, wie Tal­linn damals noch genannt wur­de, 1617 ihre Pri­vi­le­gi­en bestätigt.

Ein wei­te­res inter­es­san­tes Doku­ment ist die voll­stän­di­ge Liste des Stadt­ra­tes aus dem Jahr 1734, die ein­mal mehr in Deutsch ver­fasst ist, denn gro­ßes Tei­les des Adels in Est­land gehör­ten in jener Zeit zu den Deutschbalten.

Eben­falls aus­ge­stellt sind etli­che Sie­gel sowie der gol­de­ne Schlüs­sel zur Stadt.

Das wich­tig­ste Doku­ment aber ist wohl eine Kopie des Lübi­schen Rechts aus dem Jahr 1282. Das aus der Reichs­stadt Lübeck über­nom­me­ne Recht kam in über ein­hun­dert Städ­ten im Ost­see­raum zur Anwen­dung und auch in Tal­linn wur­den bis zum Ende der Han­se­zeit Ent­schei­dun­gen nach die­sem Geset­zes­text gefällt.

Der Tall­in­ner Rat wird zum ersten Mal 1248 in einer Urkun­de erwähnt, in der der däni­sche König Erik IV. der Stadt das lübi­sche Stadt­recht bestä­tigt. Der aus Kauf­leu­ten gewähl­te Rat hat­te die gesetz­ge­ben­de, voll­strecken­de und gericht­li­che Macht. Die gesam­te Unter­stadt wur­de von ihm ver­wal­tet, nur auf dem Dom­berg herrsch­te Feudalrecht.

Die Zahl der Rats­mit­glie­der schwank­te zwi­schen zehn und fünf­und­zwan­zig. Für eine län­ge­re Zeit bestand der Rat auch aus vier­zehn Rats­mit­glie­dern sowie vier Bür­ger­mei­stern. Die Rats­her­ren arbei­te­ten lan­ge Zeit in Schich­ten, damit sie sich in den frei­en Mona­ten ihren Geschäf­ten wid­men konnten.

Aus dem Rats­saal geht es in einen wei­te­ren Raum, der aber nur eine Art Ver­bin­dung zu einem wei­te­ren bedeu­ten­dem Zim­mer dar­stellt, das durch eine recht klei­ne, nied­ri­ge Tür erreicht wird. Hier war das Büro des Käm­me­rers, einer der wich­tig­sten Posten, den ein Rats­herr inne­ha­ben konn­te. Von die­sem Raum aus wur­den die Finan­zen und das Wirt­schafts­le­ben der Stadt geleitet.

Die nied­ri­ge Tür zum Raum wur­de übri­gens mit Bedacht gewählt, denn hier wur­den wich­ti­ge Doku­men­te, Geld und Wert­sa­chen auf­be­wahrt. Nach­dem Ende des 19. Jahr­hun­derts der Rat durch die Stadt­ver­wal­tung abge­löst wur­de, war die­ser Raum lan­ge Zeit das Büro des Bürgermeisters.

Die Gemäl­de an den Wän­den stel­len schwe­di­sche Herr­scher dar. Die­se bei­den Wer­ke wur­den dem Tall­in­ner Rat geschenkt. Sie zei­gen Köni­gin Kri­sti­na im Kin­des­al­ter sowie ein jugend­li­ches Por­trät von König Karl XI.

Inter­es­sant sind auch die aus­ge­stell­ten Doku­men­te, die Ein­nah­men und Aus­ga­ben der Stadt aufzeigen.

Zurück im Vor­raum gilt es nun eine Wen­del­trep­pe zu erklim­men, die in das Dach­ge­schoss des Rat­hau­ses führt. Hier wur­de ein Aus­stel­lungs­raum geschaf­fen, der eini­ge Stücke aus der Geschich­te des Gebäu­des zeigt.

Sehr inter­es­sant ist auf jeden Fall der alte Mecha­nis­mus des Uhr­wer­kes, wie er im Jahr 1843 instal­liert wurde.

Heu­te sieht das viel klei­ner und unspek­ta­ku­lä­rer aus, wie gleich neben­an bei einem Blick auf die Rück­sei­te der Rat­haus­uhr zu sehen ist.

In Vitri­nen sind wei­te­re Aus­stel­lungs­stücke zu sehen, die wäh­rend Reno­vie­run­gen am Gebäu­de ent­deckt wur­den. Dazu gehö­ren Schnit­ze­rei­en, all­täg­li­che Uten­si­li­en, aber auch Dokumente.

Aus dem Gie­bel­fen­ster bie­tet sich heu­te ein wei­te­rer schö­ner Blick über Tal­linn, die­ses Mal in Rich­tung Dom­berg. Einst wur­de die Öff­nung aber, wie in der Han­se üblich, zum Ver­brin­gen von Waren genutzt, wovon noch heu­te die Seil­vor­rich­tung zeugt.

Über die Wen­del­trep­pe sowie eine wei­te­re stei­ner­ne Trep­pe führt der Weg nun in eine Art Zwi­schen­ge­schoss, wo sich Räu­me befin­den, die im Lau­fe der Jahr­hun­der­te ihr Aus­se­hen immer wie­der stark ver­än­der­ten. Viel zuse­hen ist hier nicht, außer die­ser inter­es­san­ten Land­kar­te der Han­se. Inter­es­sant ist hier die Bezeich­nung West­see, wie die Nord­see zunächst genannt wur­de. Erst spä­ter führ­ten See­fah­rer den Namen Nord­see ein, denn das Meer war nach Nor­den offen und wur­de im Westen durch die bri­ti­schen Inseln begrenzt.

Eine wei­te­re stei­ner­ne Trep­pe führt wie­der dort­hin, wo der Rund­gang begon­nen hat, ins Unter­ge­schoss des Rathauses.

Hier gibt es noch eine klei­ne Aus­stel­lung zu typi­schen Beklei­dun­gen der Tall­in­ner Bür­ger in den ver­schie­de­nen Jahr­hun­der­ten. Auch eini­ge Model­le der Stadt und wich­ti­ger Gebäu­de sind hier zu finden.

Schließ­lich endet der Rund­gang wie­der an der Ein­gangs­tür des Unter­ge­schos­ses, die direkt hin­aus auf den Rat­haus­platz führt. Wäh­rend der Som­mer­öff­nung kann übri­gens auch der Rat­haus­turm bestie­gen wer­den. Doch die­ser Aus­blick erfor­dert einen sepa­ra­ten Ein­tritts­preis und das Erklim­men von 115 Stu­fen einer Wen­del­trep­pe bis zur 34 Meter hohen Glockengalerie.

Tall­in­ner Rathaus
Rae­ko­ja plats 1, Tallinn
1. Juli-​31. August: Di-​So 11–16 Uhr
Ein­tritt: €5 (2021)

Wei­te­re Arti­kel die­ser Reise:

Ein­lei­tung: Per­len des Bal­ti­kums – Kurz­trip nach Riga und Tallinn

Stadt­rund­gang durch Riga, Lett­land, Teil 1

Stadt­rund­gang durch Riga, Lett­land, Teil 2

Hoch hin­aus in Riga – St. Petri­kir­che und Aka­de­mie der Wissenschaften

Tipps für den Städ­te­trip nach Riga, Lettland

Stadt­rund­gang durch Tal­linn, Est­land, Teil 1

Stadt­rund­gang durch Tal­linn, Est­land, Teil 2

Hoch hin­aus in Tal­linn – der Tall­in­ner Domberg

Ein Blick in die Geschich­te – Besich­ti­gung des Tall­in­ner Rathauses

Von Zaren und der Som­mer­fri­sche – Schloss und Park Katha­ri­nen­thal (Kadri­org), Tal­linn, Estland

Tipps für den Städ­te­trip nach Tal­linn, Estland

Review: Luft­han­sa Busi­ness Lounge, Flug­ha­fen Berlin-Brandenburg

Review: LOT Busi­ness Class DeHa­villand Bom­ba­dier Dash‑8: Berlin-Warschau

Review: LOT Busi­ness Lounge Polo­nez, Warschau

Review: LOT Busi­ness Class Canad­air Jet 900: Warschau-Tallinn

Review: Pri­me­class Busi­ness Lounge Riga

Review: Tal­linn Air­port Busi­ness Lounge

Review: Hil­ton Gar­den Inn Riga Old Town, Riga, Lettland

Review: Hotel Tele­graaf, Mar­riott Auto­graph Coll­ec­tion, Tal­linn, Estland

Lesen Sie wei­te­re Bewer­tun­gen von Flug­zeu­gen, Air­port Loun­ges, Miet­wa­gen und Hotels.

© 2021 – 2024, Bet­ty. All rights reserved. 

Weiter lesen:

Betty

Es gibt nichts, was ich mehr liebe als die Welt zu bereisen. Immer mit dabei ist meine Kamera, wenn ich spannende Abenteuer erlebe und neue Reiseziele erkunde. Das Reisen bereitet mir so viel Freude, dass ich nun auch meine Leser an meinen Erlebnissen und Erfahrungen teilhaben lassen möchte.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Mit der Nutzung dieses Formulars erklären Sie sich mit der Speicherung und Verarbeitung ihrer Daten durch diese Website einverstanden.

zwei × 3 =