Tag 9: Mittwoch, 01. Februar 2023
Heaven and Earth – Houston nach San Antonio – Teil 1
„Blessed are the curious, for they shall have adventures.” – Lovelle Drachman
Wenn schlechtes Wetter angesagt wird, dann hat der Wetterbericht leider oft recht. So auch heute, es regnet in Strömen. Ich verlasse Houston auf dem Freeway gen Westen und hoffe, dass es später doch etwas besser wird. Nach einiger Fahrzeit lässt zumindest der Regen es nach, so richtig schön ist es aber weiter hin nicht. Immerhin schüttet es nicht mehr, als ich die Kleinstadt Sealy nach einer Stunde erreiche.
Mein Ziel ist die Liedertafel Hall, die einer von vielen Orten in Zentraltexas ist, der von den deutschen Einwanderern erzählt. Früher erkannte man eine deutschsprachige Gemeinde in Texas meist sofort an ihrer Gesangsgruppe und eine solche wurde auch in Sealy in den 1890er Jahren gegründet. Zunächst traf man sich meistens im Haus eines gewissen Ferdinand Lux, doch um 1912 spendeten Lux and Fritz Kinkler, Jr. Lan, um eine Gesangshalle zu bauen. Und so entstand die Liedertafel Hall, die auch bis in die 1940er Jahre von den Sängern genutzt wurde.
Im Jahr 1944 endete die Geschichte der deutschen Sänger, denn die starben langsam aus und durch den Zweiten Weltkrieg war die deutsche Sprache unpopulär geworden. Da auch die Halle in die Jahre kam und eine Renovierung unausweichlich war, wurde sie an die örtliche Feuerwehr verkauft, die hier ihre Feierlichkeiten durchführte.
Erst um die Jahrtausendwende wurde dieser Ort wieder zur Liedertafel Hall, denn die Feuerwehr spendete das Gebäude 1995 an die Stadt, die es anschließend renovieren ließ. Heute erinnert die Liedertafel Hall an längst vergangene Zeiten, kann aber auch für Feierlichkeiten gemietet werden. Ich kann an diesem Tag nur einen Blick durch die Fenster werfen, denn geöffnet ist das Gebäude nicht.
Nach diesem kurzen Stopp setze ich meine Entdeckungstour durch diesen Teil von Texas fort. Auch wenn ich schon viele Orte deutscher Siedler besucht habe, so bin ich in der Gegend nördlich der Interstate 10 zwischen Houston und San Antonio noch nie gewesen. Ich hoffe nur, dass das Wetter mir keinen kompletten Strich durch die Rechnung macht, denn die Kaltfront soll Eisregen bringen, aber der Wetterdienst kann nicht genau sagen, wie weit südlich das passieren wird. Erst einmal wechseln sich nur trockene und regnerische Phasen ab und es ist schon recht frisch. Aber bis jetzt hält mich das nicht von meinen Erkundungen ab und so geht es weiter zur St. Roch Catholic Church.
Die Kirche liegt im kleinen Örtchen Mentz, das seinen Namen 1846 von katholischen Siedlern bekam, die aus Mainz nach Texas kamen. Im Jahr 1857 verkaufte schließlich ein gewisser Franz Burtschell Land an die Kirche für den symbolischen Preis von einem Dollar, um hier eine Kirche zu errichten. Nur ein Jahr später wurde das Gotteshaus fertiggestellt. Die heutige Kirche ist allerdings ein Neubau aus dem Jahr 1941, aber noch immer das Zentrum deutscher Aktivitäten, zu denen vor allem ein großes German Festival gehört, das jedes Jahr im Oktober stattfindet.
Ich fahre weiter in die Kleinstadt Columbus, die seit 1835 diesen Namen trägt und nur ein Jahr später zur Kreisstadt des Colorado County wurde. Inzwischen hat es zwar wieder angefangen zu regnen, doch eine kleine Runde möchte ich durch die Stadt trotzdem drehen und einige historische Orte zumindest von außen anschauen.
Zu den Orten, die ich anschaue, gehört das Old Stafford Opera House, das 1886 von R.E. Stafford erbaut wurde, der durch seine Rinderfarm zu Reichtum gekommen war. Das Gebäude hatte eine opulente Ausstattung und konnte bis zu tausend Gäste aufnehmen. Hier traten Berühmtheiten der damaligen Zeit auf, darunter auch der bekannte Zauberer Houdini. Die Menschen kamen auch von weit her mit dem Zug, um die Veranstaltungen zu besuchen.
Auch das Stafford-Miller House gehört zu den sehenswerten Gebäuden des Ortes. Erbaut wurde es 1886 direkt neben dem Opernhaus für Robert E. Stafford und man sagt, dass er in seinem Bett sitzend jede Vorstellung im Opernhaus anschauen konnte. Das Haus besaß ursprünglich eine Kuppel, die jedoch 1909 durch einen Hurrikan zerstört wurde. Nur sechs Jahre später wurde das Haus an Helena Miller verkauft, deren Nachfahren hier noch heute leben.
Für mich geht es weiter zum Gerichtsgebäude, das in amerikanischen Kleinstädte oft das Zentrum des Ortes bildet. Dieses Gebäude wurde 1890 erbaut und hatte ursprünglich einen Glockenturm, der aber durch einen Hurrikan zerstört und 1909 durch eine Kuppel ersetzt wurde.
Gleich neben dem Gerichtsgebäude steht ein historischer Wasserturm, der in den 1880er Jahren aus über 400.000 Ziegelsteinen errichtet wurde, nachdem es in der Stadt einen Großbrand und nicht genügend Löschwasser gegeben hatte. Der Turm war bis 1912 in Betrieb, bevor er durch einen moderneren Wasserturm aus Stahl ersetzt wurde.
Die Hauptstraße zwischen Opernhaus und Gerichtsgebäude ist noch von einigen weiteren Gebäuden aus jener Zeit gesäumt. Dazu gehört das Charles Brunson Building. Brunson kam 1845 aus Westfalen nach Texas und gründete 1867 einen Saloon in Columbus. Dieses Gebäude ließ er in den 1890er Jahren für sein Geschäft erbauen und bis 1919 gab es hier einen Saloon, bevor sich andere Geschäfte ansiedelten.
Einen letzten Stopp lege ich am Ehrenwerth-Ramsey Building ein, das bereits in den 1870er Jahren erbaut wurde und zunächst ebenfalls einen Saloon beherbergte, bevor es zu einem Eisenwarengeschäft umgebaut wurde.
Da sich das Wetter nicht bessert, fahre ich weiter und komme unterwegs durch das Örtchen New Ulm, das in den 1840er Jahren gegründet und von deutschen Siedlern nach der Stadt Ulm benannt wurde.
Nur wenige Meilen weiter liegt das noch kleinere Örtchen Frelsburg. Hierher verirrt man sich nur aus einem Grund und der ist die evangelische Trinity Church, die 1855 erbaut wurde und in der bis 1932 ausschließlich deutschsprachige Gottesdienste stattfanden. Gründer des Ortes waren die Brüder William und John Frels, die 1834 mit dem Schiff Congress in die USA kamen. Die Stadt wurde zunächst von Siedlern aus Oldenburg und Holstein besiedelt, später kamen auch Rheinländer hinzu.
Am spannendsten ist aber nicht die Kirche selbst, sondern der angeschlossene Friedhof. Und da es gerade nicht regnet, parke ich das Auto, um mich hier ein wenig umzusehen.
Der Friedhof wurde 1857 gegründet und noch heute tragen viele der Grabsteine deutsche Namen und Inschriften. Unter den Gräbern sind viele der Gründerfamilien von Frelsburg, der Familien Frels, Becker und Fehrenkamp.
Die erste nachweisbare Beerdigung fand 1859 statt, als Louise Frels auf dem Friedhof beigesetzt wurde. Neben den Gräbern der Gründerfamilien kann ich noch viele weitere interessante Grabsteine entdecken und die Fotos zeigen nur einen kleinen Teil der Gräber, die ich besucht habe.
An der einzigen großen Kreuzung in Frelsburg sehe ich noch den Heinsohn’s Store, der eines der ältesten Geschäfte in Texas ist. Gegründet wurde er 1841 von William Frels und auch wenn es inzwischen mehrere Gebäude und auch Eigentümer gab, wurde das Geschäft an dieser Stelle nie geschlossen und versorgt die Menschen der Region auch heute noch.
An den Schildern gut zu erkennen ist aber auch, dass nicht nur deustche Siedler nach Texas kamen. Die Familie Hruska gründete bereits 1912 ein Geschäft in Ellinger, Texas, das ebenfalls noch heute existiert. Aus Europa emigrierten allerdings schon Vorfahren, denn Geschäftsgründer Frantisek J. Hruska wurde 1880 bereits in Texas geboren.
Etwa auf halbem Weg zwischen Houston und San Antonio komme ich durch das Städtchen La Grange, das für Texas ebenfalls auf eine lange Geschichte zurückblicken kann. Bereits 1855 wurde hier eine Kirche gegründet, das heutige Gotteshaus wurde allerdings erst 1885 im Queen Anne Stil erbaut.
Eines der interessantesten Wohngebäude im Ort ist das Webb-Schneider House, das 1850 von William Graham Webb erbaut wurde. Im Jahr 1901 kam es in den Besitz der Familie Schneider, die das Haus zwar umbaute, aber als historisches Gebäude aus dem 19. Jahrhundert erhalten hat.
Eigentlich bin ich nach La Grange gekommen, um die historische Casino Hall zu besichtigen. Dieses Gebäude war eines von Dutzenden Casinos in Texas, in denen aber kein Glückspiel veranstaltet, sondern das Deutschtum gepflegt wurde. Das 1881 erbaute Gebäude wurde inzwischen aufwendig restauriert und kann normalerweise besichtigt werden. Doch wegen des angekündigten schlechten Wetters hat man ausgerechnet an diesem Tag beschlossen, nicht zu öffnen, sodass ich unverrichteter Dinge weiterziehen muss.
Nachdem ich schon etliche interessante Orte an diesem Tag besucht habe, nähere ich mich nun dem Hauptziel des heutigen Tages, den Painted Churches of Schulenburg. In ganz Texas gibt es rund zwanzig bemalte Kirchen, doch die fünf Gotteshäuser rund um die Kleinstadt Schulenburg gehören zu den schönsten und können sogar auf geführten Touren besichtigt werden. Nur dann hat man übrigens auch die Garantie, alle von innen anschauen zu können. Ich aber versuche es heute auf eigene Faust, denn eine Tour zu organisieren hätte doch meinen zeitlichen Rahmen gesprengt.
Die erste Kirche, die ich besuche, ist die St. John the Baptist Catholic Church in Ammannsville. Im Jahr 1919 erbaut, ist sie eine der wunderschön bemalen Kirchen dieser Region. Leider ist die Tür jedoch verschlossen, sodass ich nur einen Blick durch ein Fenster erhaschen kann. Hoffentlich habe ich bei der nächsten Kirche mehr Glück.
Zunächst aber komme ich durch das Städtchen Weimar, das um 1875 natürlich auch von deutschen Siedlern gegründet wurde. Zwar hieß der Ort eigentlich Jackson, wurde aber ziemlich schnell in Weimar umbenannt.
Zwar gehört die 1913 erbaute St. Michaels Church nicht zu den Painted Churches der Region, aber imposant ist das von deutschen Siedlern erbaute Gotteshaus trotzdem, sodass ich wenigstens einen Fotostopp einlege.
Dann geht es aber doch ziemlich schnell weiter, denn wirklich viel zu sehen gibt es in Weimar nicht. Nur der Name ist halt besonders für Besucher aus Deutschland interessant.
Ich widme mich dann wieder den Painted Churches und steuere Dubina an, das von tschechischen Siedlern gegründet wurde. Die heutige Kirche wurde 1911 erbaut und ersetzte einen Vorgängerbau von 1877, der durch den Hurrikan 1909 zerstört wurde.
Und hier in Dubina habe ich mehr Glück, denn die Kirche ist regelmäßig geöffnet und auch trotz des angekündigten schlechten Wetters wurde daran nicht gerüttelt. So kann ich mir diese Painted Church ganz genau ansehen.
Der Grund für die Gestaltung der Kirchen war übrigens, dass die Siedler ihre einfachen Holzkirchen zumindest von innen mehr wie die gotischen Gotteshäuser aus ihrer Heimat aussehen lassen wollten.
Die wunderschöne Bemalung dieser Kirche wäre sogar fast für immer verloren gewesen, denn in den 1950er Jahren wurden die Wände weiß übermalt, um das Gebäude zu modernisieren. Erst als die anderen bemalten Kirchen in den 1980er Jahren immer mehr für ihre Geschichte anerkannt wurden, beschloss die Gemeinde, auch dieses Gotteshaus zu restaurieren, zum Glück, denn die Kirche ist wirklich toll anzuschauen.
Nach der Innenbesichtigung kann ich sogar noch kurz um das Gebäude laufen, denn Petrus hat momentan mal wieder ein Einsehen und den Regen abgestellt.
Nach diesem Erfolg geht es für mich weiter nach Schulenburg, dem Zentrum der Gegend. Der Ort wurde durch den Zusammenschluss von Lyons und High Hill gegründet und erhielt seinen Namen 1858 von Louis Schulenburg. Viele der ersten Siedler kamen nach der Revolution 1848 aus Deutschland, Österreich und Tschechien nach Texas.
Eines der interessantesten Gebäude in Schulenburg ist die Sengelmann Hall. Bereits in den 1890er Jahren gegründet, ist hier noch heute ein Veranstaltungsraum mit dem originalen Holzparkett zu finden.
Da es gerade wieder zu regnen beginnt, entscheide ich mich erst einmal dafür eine Mittagspause einzulegen. Und was bietet sich da in Texas besser an als die original texanische Fast-Food-Kette Whataburger?