Tag 2 – Freitag, 19. Juni 2015
I’ll follow the Sun – London nach Eastbourne
„Heaven take thy soul, and England keep my bones!”
William Shakespeare
Zuerst fängt der Tag heute ganz gut an, die Sonne scheint und auch der Verkehr auf der M25 ist nicht zu schlimm. So komme ich ganz gut um London herum und erreiche die Autobahn, die mich in den Südosten Englands bringt. Mein erstes Ziel ist Canterbury. So früh am Morgen ist es noch nicht so schwierig einen Parkplatz ganz dicht an der Altstadt zu finden. Leider muss man hier auch wieder einen Parkschein ziehen, sodass ich erst einmal überlegen muss, wie lange ich bleiben will. Gleich hier am Parkplatz ist auch ein Eingang zum Gelände der Kathedrale, doch den dürfen nur Angestellte benutzen, Besucher müssen zum Besuchereingang. Die Kathedrale steht nämlich nicht einfach mitten in der Stadt, sie ist als Sitz der anglikanischen Kirche von Mauern umgeben und eine kleine Stadt innerhalb der Stadt. Nachdem ich meinen Eintritt bezahlt habe, stehe ich dann aber auch gleich vor der riesigen Kathedrale.
Ich gehe auch gleich hinein und bin überwältigt. Das ist schon bombastisch und beeindruckend. Und vom Eingang kann man nicht einmal die ganze Kathedrale überblicken. Wenn man sich vorstellt, mit welchen Mitteln hier damals gebaut wurde, ist es fast unglaublich, wie so etwas geschaffen werden konnte.
Ich laufe in Richtung Altar. So früh am Morgen bin ich fast allein hier. So kann ich mich in aller Ruhe umsehen.
Schon im 6. Jahrhundert nach Christus wurde an dieser Stelle die erste Kirche erbaut. Fundamente wurden bei Renovierungsarbeiten 1993 entdeckt. Die heutige Kathedrale wurde 1067 begonnen und über mehrere Jahrhunderte immer wieder erweitert. Das lässt sich auch an den unterschiedlichen Baustilen erkennen.
In der Kathedrale fand auch einer der berühmtesten Morde der abendländischen Geschichte statt. Im Jahr 1170 wurde Thomas Beckett, der Erzbischof von Canterbury war, wurde hier von vier Dienern des Königs erschlagen. Später wurde der Ort zur Wallfahrtsstätte und man kann ihn auch heute noch besuchen.
Seit der Gründung der Anglikanischen Kirche durch Heinrich VIII. ist der Erzbischof von Canterbury übrigens deren Oberhaupt und derjenige, der die englischen Könige krönt.
Draußen, an der Hauptfront der Kirche, entdecke ich dann noch vier Statuen, die mir gleich bekannt vorkommen. Die zwei links sind Königin Victoria und ihr Mann Prinz Albert, die zwei rechts Königin Elizabeth und Prinz Phillip. Die beiden Statuen der amtierenden Königin wurden zu deren diamantenen Thronjubiläum geschaffen und erst kurz vor meinem Besuch im März 2015 enthüllt. Somit sind hier die zwei am längsten regierenden Monarchen in der englischen Geschichte zu sehen.
Dann beginne ich meinen Rundgang um die Kathedrale und entdecke wunderschöne Ecken und Ausblicke auf den 75 Meter hohen Turm.
Als ich zurück zu Auto gehe, hat sich der Himmel leider total zugezogen und es weht sogar ein unangenehmer Wind. Erst hoffe ich noch, dass sich das bald ändert, doch auch als ich am Walmer Castle an der Küste des Ärmelkanals ankomme, ist das Wetter eher trübe. Nun gut, gehe ich halt erst einmal nach drinnen, denn Walmer Castle wurde einst vom Duke of Wellington bewohnt. Doch beginnen wir die Geschichte von vorn.
Walmer Castle wurde zwischen 1539 und 1540 erbaut und war eine von 20 Burgen, die Heinrich VIII. zur Abwehr französischer oder spanischer Invasoren errichten ließ. Militärische Aktionen sah die Burg jedoch nur ein einziges Mal, als 1648 im englischen Bürgerkrieg die von den Royalisten gehaltene Burg von den Parlamentstruppen erobert wurde. Seit 1708 ist Walmer Castle schließlich der Sitz des Lord Warden of the Cinque Ports, des ältesten militärischen Amtes in England. Der Lord Warden präsentiert den Monarchen heute in vierzehn Küstenstädten, ursprünglich waren es fünf, daher der Name. Den Posten gibt es auch heute noch. Nur ist der Lord Warden meist nur kurze Zeit tatsächlich in der Burg anwesend. Einzige Ausnahme war der Duke of Wellington. Dreiundzwanzig Jahre hatte er das Amt inne, mache Walmer Castle zu seinem Hauptwohnsitz und verstarb hier auch 1852. Inhaber des Amtes war übrigens auch einmal Elizabeth Bowes-Lyon, mehr bekannt als Königin Elizabeth, die Mutter der heutigen Queen.
Leider darf ich im Inneren der Burg, die heute zum English Heritage gehört, nicht fotografieren. Das ist hier besonders schade, denn es ist wirklich sehr interessant zu sehen, wie der berühmte Duke of Wellington, Bezwinger von Napoleon, seinen Lebensabend verbrachte. Erst draußen ist fotografieren wieder erlaubt. Ich klettere auf das Dach der Anlage, wo auch heute noch die Verteidigungsanlagen zu sehen sind. Nebenbei bietet sich ein schöner Blick auf den Ärmelkanal.
Zur Burg gehört heute ein schöner Garten, den ich mir ebenfalls ansehen. Er wurde erstmalig im 18. Jahrhundert gestaltet. Die heutige Anlage ist allerdings noch nicht so alt, denn anlässlich des 95. Geburtstages der Königinmutter wurde 1995 bis 1997 ein völlig neuer formaler Garten gestaltet.
Zu meinem nächsten Ziel ist es dann auch gar nicht weit, denn ich will das Deal Castle besuchen. Es ist kein Zufall, dass es fast genauso wie Walmer Castle aussieht, denn es gehört zur selben Reihe von Festungen, die Heinrich VIII. errichten ließ. Verwaltet wird es heute ebenfalls vom English Heritage, doch im Gegensatz zu Walmer Castle wurden hier nie elegante Wohnräume eingerichtet oder ein Garten angelegt. Die Festung war auch lange Zeit nur noch der Sitz eines Festungsgouverneurs. Im Jahr 1941 wurde sie von deutschen Bomben beschädigt, ist aber trotzdem heute noch die am besten erhaltene Burg aus der Zeit Heinrich VIII.
Sehr lange halte ich mich allerdings nicht in Deal auf, denn das Wetter schaut immer düsterer aus. So fahre ich recht bald Richtung Westen. Ich will zum South Foreland Lighthouse. Doch das ist erstmal gar nicht so einfach. Der Leuchtturm gehört zwar zum National Trust und kann besichtigt werden, doch die Zufahrt zu finden, darin besteht die Hauptaufgabe. Selbst mein Navi hat einige Probleme und auch die korrekte Straße sehe ich erst gar nicht als richtig an, denn sie ist eigentlich nicht viel mehr als eine Piste mit kraterähnlichen Schlaglöchern und Ästen an den Rändern, die wie Peitschen auf mein Auto einschlagen. Doch ich schaffe es und erreiche den Parkplatz und wundere mich erst einmal, wo die ganzen Autos herkommen, denn unterwegs ist mir keiner begegnet.
South Foreland ist ein viktorianischer Leuchtturm an der St. Magrets Bay, der auf weißen Klippen steht, die ich von hier oben, natürlich nicht sehe. Das würde nur vom Schiff aus funktionieren, doch bei dem Wetter heute würde selbst das wenig Sinn machen.
Ich fahre schließlich weiter nach Dover. Inzwischen bin ich ganz schön frustriert, denn die Sicht wird immer schlechter. Es ist nicht nur bedeckt, sondern diesig und nieselt leicht. Ich schaue auf Dover und seinen bekannten Hafen hinab. Vor zehn Jahren bin ich hier mit der damals nagelneuen Norwegian Jewel zu meiner Transatlantik-Kreuzfahrt nach New York aufgebrochen.
Den Besuch am Dover Castle breche ich dann schon nach wenigen Minuten ab. Nicht ist das Wetter nervig, hier sind auch noch Massen an Schulklassen unterwegs. Halb England und ganz Frankreich scheint auf den Beinen zu sein. Ich fahre wieder. Das kann ich irgendwann auch mal nachholen. Zum letzten Mal war ich hier bestimmt nicht.
Bei meinen Recherchen für diese Reise bin ich auch auf das Dungeness Lighthouse gestoßen. Um es zu erreichen, fahre ich ewig lange durch flaches Marschland, denn die Klippen von Dover habe ich inzwischen hinter mir gelassen. Was ich erst mitbekomme, als ich schon hier bin, ist das Atomkraftwerk, das gleich nebenan steht. Das macht die Aussicht hier dann auch nicht gerade schön, sodass ich recht bald wieder abdrehe.
Als ich dann so weiter nach Westen fahre und den Tag eigentlich schon fast abgeschrieben habe, reißt ganz plötzlich der Himmel auf. Binnen weniger Minuten ist er strahlend blau und die Sonne wärmt richtig schön. Deshalb entschließe ich mich spontan noch zum Bodiam Castle zu fahren. Es ist zwar schon kurz vor 16 Uhr, aber bei solchem Wetter will ich die Stunde, die mir bleibt, nutzen und mir die Burg einmal genauer ansehen.
Bodiam Castle wurde zwischen 1385 und 1392 erbaut und ist komplett von einem breiten Wassergraben umgeben. Nach innen gelangt man durch den rechteckigen, an der Nordseite befindlichen Torturm, während vier mächtige Ecktürme von über neun Metern Durchmesser die Ecken der Burg markieren.
Auf dem Weg über die Brücke in die Burg werde ich dann argwöhnisch beobachtet …
… doch ich schaffe es unbehelligt und trockenen Fußes in die Burganlage hinein.
Die Burganlage ist richtig groß. Fünfzig mal sechzig Meter misst der Grundriss und die Gebäude waren für die damalige Zeit auch recht komfortabel eingerichtet. Es gab sogar dreiunddreißig Kamine sowie zehn Wendeltreppen. Eine von ihnen erklimme auch ich, um einen besseren Überblick zu bekommen.
Erst einmal komme ich allerdings noch durch eines der Turmzimmer.
Dann aber bin ich oben und habe einen tollen Blick auf den Innenhof von Bodiam Castle.
Auch beim Herausgehen werde ich dann wieder beäugt. Nein, ich habe nichts mitgenommen und bin auch sonst ganz harmlos.
Dieser Besuch hat sich wirklich gelohnt. Es hat mir total gut gefallen und ist inzwischen sogar so warm, dass ich meine Jacke ins Auto packe. Auf dem Weg nach Eastbourne komme ich durch das Städtchen Battle, wo ich dann auch nochmal kurz halte. Hier hat 1066 die berühmte Schlacht von Hastings stattgefunden und diesen Ort will ich mir endlich einmal selbst anschauen.
Durch das Torhaus betrete ich den Innenhof. Recht bald erreiche ich die noch erhaltenen Grundmauern des ehemaligen Klosters. Dass diese Kellerräume es sprichwörtlich in sich haben, entdecke ich jedoch erst später.
Erst einmal lasse ich den Blick über die einstigen Schlachtfelder schweifen. Hier war es, wo sich Normannen und Angelsachsen in einer gewaltigen Schlacht gegenüber standen, die den weiteren Verlauf der Geschichte Englands nachhaltig beeinflusste. Heute liegt alles so friedlich dar und es ist kaum vorstellbar, was sich hier vor fast 1000 Jahren abgespielt hat.
Dann aber gehe ich in die Klosterruine. Viel ist nicht erhalten geblieben, doch die Gewölbe unter dem Gebäude beeindrucken mit wirklich. So etwas sieht man selten in so gutem Zustand.
Auf dem Rückweg zum Auto werfe ich noch einen kurzen Blick auf den Teil des Geländes, der heute eine exklusive Schule beherbergt. Hier ist Zutritt leider verboten.
Umso näher ich Eastbourne komme, desto grandioser sind Wetter und Sicht. So entschließe ich mich, noch zum Beachy Head, den weißen Klippen nahe Eastbourne, zu fahren. Und das wird auch reichlich belohnt.
Zuerst fahre ich auf einer Landstraße durch liebliche Hügel, die nur ab und zu ganz kurz einen Blick auf die strahlend weißen Klippen freigeben. Ich erahne zunächst nur, wie schön es hier ist. Dann entdecke ich einen Parkplatz und biege ab. Das Visitor Center hat zwar schon zu, aber so spare ich mir auch die Parkplatzgebühr, denn die wird nur vor 18 Uhr erhoben. Ich laufe zum Klippenrand und das Panorama hier verschlägt mir fast die Sprache.
Ich gehe auf eine Aussichtsplattform und sehe, dass von hier Treppen zum Strand führen. Die nehme ich dann auch gleich mal in Angriff.
Der Strand unten besteht allerdings aus recht großen, vom Meer abgeschliffenen Steinen. Gut, dass ich festes Schuhwerk anhabe, denn das Laufen hier ist nicht gerade einfach.
Ich laufe weiter Richtung Meer, wo gerade Ebbe herrscht. Ein großer Teil des Meeresbodens ist zu sehen. Sowas fasziniert mich ja immer, denn so oft habe ich keine Gelegenheit echte Gehzeiten zu beobachten. Auf den Steinen ist es durch die Algen ganz schön glitschig und ich muss aufpassen, wohin ich trete. Trotzdem laufe ich ein ganzes Stück hinaus.
Der Blick auf die Klippen von hier lässt mich die ganze Anstrengung aber schnell vergessen. Es ist einfach traumhaft schön.
Beachy Head ist mit seinen 162 Metern Höhe übrigens der höchste aller englischen Kreidefelsen. Sein Name hat nichts mit dem englischen Wort für Strand (Beach) zu tun. Er stammt vom französischen Wort Beauchef ab, was so viel wie schönes Kap bedeutet. An Beachy Head, das Teil der South Downs ist, schließen sich auch die berühmten Seven Sisters an.
Am Beachy Head gibt es seit 1831 auch einen Leuchtturm. Um den zu besuchen, fahre ich ein Stück weiter zu einem anderen Parkplatz. Dann geht es zu Fuß weiter. Ein Blick zurück zeigt mir ein traumhaftes Panorama. Der Leuchtturm im Meer wurde im Oktober 1902 fertiggestellt und sein Licht ist über 26 Seemeilen weit zu sehen. Das kleine, schwarze Auto in der Bildmitte ist übrigens mein Mietwagen.
Schließlich erreiche ich das Belle Tout Lighthouse, dass hier 1831 als erster Leuchtturm errichtet wurde. Seit 1902 ist es jedoch ein Privathaus, denn es wurde nach dem Bau des Leuchtturms vor der Küste nicht mehr benötigt.
Auch auf dem Rückweg habe ich wieder einen schönen Blick auf den neuen Leuchtturm und die Klippen.
Selbst auf der Fahrt zurück nach Eastbourne habe ich immer wieder schöne Landschaft neben der Straße und schließlich noch einen tollen Blick auf Eastbourne selbst.
In Eastbourne checke ich dann im Premier Inn Town Center ein. Das Hotel ist nur einen Block vom Strand entfernt, doch leider hat es keinen Parkplatz. Nebenan kann man zwar das öffentliche Parkhaus nutzen, doch ich habe Glück und ergattere einen der kostenlosen Parkplätze auf der Straße. Bis morgen früh um 9 Uhr bin ich sowieso wieder weg. Nur die Möwen werden mich noch ärgern, denn die hinterlassen wirklich riesige Häufchen auf den Autos. Das Hotel selbst ist sehr schön und nagelneu. Mir gefällt das neue Design von Premier Inn auf Anhieb.
Im Hotel bleiben will ich aber noch nicht und so laufe ich den kurzen Weg bis zur Küste. Hier ist alles schön angelegt und auch der historische Pier ist gleich um die Ecke.
Bei mir macht sich jedoch recht bald der Hunger bemerkbar und ich schaue mich nach einem Restaurant um. Dabei fällt mir Harry Ramsdens ins Auge. Kenne ich zwar noch nicht, aber ich liebe gute Fish and Chips und die soll es hier geben. Mit dem Essen bin ich auch hochzufrieden und es ist nicht mal teuer.
Später entdecke ich, dass Harry Ramsdens eine Kette ist und ich die leckeren Fish and Chips auch anderswo bekomme.
Meilen: 246
Wetter: stark bewölkt, später heiter; 13–22 Grad
Hotel: Premier Inn Eastbourne Town Center