Tag 4: 6. September 2006
World’s End – Ausflug nach Barrow
Als sich die Sonne heute Morgen so langsam über den Horizont schiebt, stehe ich bereits in den Startlöchern, denn ich muss bereits um kurz nach sechs Uhr am Flughafen von Fairbanks sein. Von hier startet mein kleines Alaska Abenteuer, das ich schon von Deutschland aus gebucht habe. Ganz unspektakulär geht es erstmal zum Check-in von Alaska Airlines. Dort läuft alles wie immer ab und auch die Security ist nichts Besonderes. Als ich dann aber im Wartebereich ankomme und aus dem Fenster schaue, ahne ich zum ersten Mal, dass dieser Flug doch nicht ganz so wie gewohnt sein wird.
Die Maschine, die dort draußen auf mich wartet, ist zwar eine Boeing 737, doch sieht sie schon etwas ungewöhnlich aus, mit ihrer riesigen Ladeluke gleich hinter dem Cockpit. Benutzt werden diese Maschinen, um Passagiere und Fracht in entlegene Gebiete zu bringen. Dabei kann der Innenraum des Flugzeuges variabel gestaltet werden. Umso mehr Passagieren mitfliegen, desto mehr Sitze gibt es im hinteren Teil des Flugzeuges. Wenn es wenig Buchungen gibt, werden die Sitze entfernt und einfach mehr Fracht eingeladen. Warum das so ist, wird mir erst ganz deutlich später bewusst werden, wenn ich mein Ziel erreicht habe, die nördlichste Stadt der USA – Barrow, Alaska.
Schon der Landeanflug ist atemberaubend. Hoch über dem arktischen Ozean kreist die Boeing 737 der Alaska Airlines bevor sie zum Landeanflug ansetzt.
Eisschollen schwimmen auf der Wasseroberfläche und die weite Leere der Landschaft zieht den Blick immer wieder magisch an.
Dann bin ich endlich in der nördlichsten Stadt der USA gelandet. Barrow ist die Kreisstadt des North Slope County, dem größten Landkreis der USA. Er erstreckt sich auf 230.000 Quadratkilometer über den gesamten Norden Alaskas und ist sogar größer als der Bundesstaat Utah.
Als ich aus dem winzigen Terminal trete, bemerke ich als Erstes das Fehlen von Bäumen, denn Barrow liegt in der arktischen Tundra. Auch gepflasterte Straßen sucht man hier vergeblich. Sie würden dem arktischen Winter sowieso nicht standhalten. Und weit entfernt von so ziemlich jedem Ort auf der restlichen Welt bin ich hier sowieso.
Da ich noch etwas Zeit habe, bevor ich zu meiner Tour durch Barrow abgeholt werde, schaue ich mich ein wenig rund um den Flughafen um. Dabei entdecke ich dieses Monument, das Will Rogers gewidmet ist. Will Rogers war wohl einer der größten Hollywoodstars des frühen 20. Jahrhunderts und verunglückte hier in Barrow bei einem Flugzeugabsturz tödlich. Am 15. August 1935 war Will Rogers mit seinem Freund Wiley Post auf dem Weg von Fairbanks nach Point Barrow. Unterwegs landeten sie in einer Lagune, um sich nach dem Weg zu erkundigen. Unmittelbar nach dem Start fiel der Motor aus, wahrscheinlich war einer der Tanks leer. Beide starben beim Absturz. Wiley Post war übrigens der Mann, der 1933 im Alleinflug die Erde umrundete.
Kurz darauf kommt auch schon der Bus vorgefahren und mit ihm Anouk, der Reiseleiter für den heutigen Tag. Anouk ist Inuit, wie die meisten der etwa 5000 Einwohner von Barrow. Die kleine Stadt fünf Grad nördlich des Polarkreises ist ein Ort der Extreme, denn die Jahresdurchschnittstemperatur liegt bei ‑12 Grad Celsius (Deutschland +9,4 Grad Celsius) und an 167 Tagen im Jahr liegt sie sogar unter ‑20 Grad Celsius. Auch wird es an sechzig Tagen im Jahr überhaupt nicht hell, während im Sommer die Sonne für fast zwei Monate nie untergeht.
Auf einer kurzen Orientierungsfahrt durch die Stadt entdecke ich dieses Grundstück. Da ist schon etwas Galgenhumor dabei, wenn sich in dieser Gegend jemand Palmen baut und diese in seinem Vorgarten errichtet. Strand gibt es allerdings in Barrow reichlich, doch den werde ich erst später besuchen.
Erst einmal ist der nächste Stopp der Supermarkt. Auf den ersten Blick ist er typisch amerikanisch, doch auf den Zweiten merkt man schon, dass man hier an einem ganz entlegenen Ort ist. In diesem Laden gibt es so ziemlich alles, was man zum täglichen Leben braucht, dagegen ist ein Wal Mart mager ausgestattet. Die Preise sind allerdings teilweise astronomisch, besonders für frische Lebensmittel. So kostet die Gallone Milch etwa zehn Dollar und ein Kilo Äpfel auch. Doch dann entdecke ich plötzlich gähnend leere Regale. Ich frage einen Verkäufer, was es damit auf sich hat. Er erklärt mir dann, dass große und schwere Waren nur zwei Monate im Jahr nach Barrow kommen, denn nur dann sind die Schiffsroute und der Hafen eisfrei. Sonst muss alles über die Luft kommen, denn Straßen nach Barrow, die gibt es nicht. Und manchmal geht da schon der ein oder andere Artikel aus. Bis Nachschub kommt, kann dann auch noch etwas Zeit vergehen.
Nächster Stopp ist das Inuit Heritage Center. Hier lerne ich mehr über die Ureinwohner Alaskas. Vor dem Haus liegt ein riesiges Walskelett. Und Walfang gehört auch heute noch zum Leben der Inuit. Zwei bis drei Wale dürfen sie pro Jahr erlegen. Das ist jedes Mal ein großes Fest. Der Wal wird nicht nur zum Spaß erlegt, jedes Teil wird verwendet, meist für Nahrung oder Kleidung.
Auch die Tiere der Arktis lerne ich hier kennen. Unter ihnen die Schneeeulen. Eine habe ich auf meiner Tour auch live gesehen, doch war sie so weit weg, dass es davon kein Foto gibt.
Zum Abschluss führen die Inuit unserer Gruppe einige traditionelle Tänze vor.
Dann geht es endlich an die Küste und ich sehe zum ersten Mal das Nordpolarmeer vor mir. Im Hintergrund treiben Eisschollen und lassen erahnen, wie kalt das Wasser hier ist. Die Lufttemperatur ist heute übrigens kuschelige +5 Grad Celsius, ein warmer Spätsommertag für Barrow – fast schon eine Hitzewelle, wie wir von Anouk erfahren. Doch es gibt auch noch wärmere Tage hier im äußersten Norden. Im Jahr 1922 stiegt das Thermometer für fünf Tage im Juli sogar auf 23 Grad Celsius – ein Hitzerekord. Normalerweise steigt das Quecksilber aber selbst im Sommer nicht über 10 Grad Celsius.
Bevor wir den Strand erreichen, kommen wir noch an dieser Parabolantennen-Anlage vorbei. Sie haben hier Wissenschaftler aufgestellt, die zu einigen Hundert hier angesiedelt sind.
Auch einen Stopp am Friedhof machen wir. Der erinnert mich irgendwie ein bisschen an Louisiana, wo man ja wegen des hohen Grundwasserspiegels nicht unter der Erde begraben werden kann. Das klappt hier nämlich auch nicht so einfach, denn ab rund sechzig Zentimeter Tiefe gibt es Permafrost und der Boden taut nie auf. Um ein Loch zu Graben muss hier also erstmal ein Feuer gemacht werden. Und die Toten, ja die werden wohl auch noch in 2000 Jahren hier liegen, erzählt uns Anouk, denn sie werden komplett tiefgefroren und so konserviert.
Dann ist es endlich geschafft und ich stehe am Strand von Barrow und vor dem Schild, dass uns hier offiziell willkommen heißt.
Als ich so auf das Meer hinausschaue, habe ich wirklich das Gefühl am Ende der Welt zu stehen. Vor mir nur noch Eisschollen und irgendwo dort hinten am Horizont der Nordpol.
Wenigstens einen Finger steckte ich dann auch mal in das Polarmeer. Brrrr, das ist eisig kalt. Etwa zwei Grad Celsius beträgt die Wassertemperatur heute. Baden möchte ich hier nicht. Das jedoch sehen Andere anders.
Einige aus unserer Gruppe lassen es sich nicht nehmen, zum traditionellen Eisbaden anzutreten. Und so stürzen sie sich in die Fluten des Nordpolarmeers.
Nach diesem Erlebnis neigt sich mein Besuch in Barrow schon wieder dem Ende zu. Einige Leute aus der Gruppe bleiben noch über Nacht hier, für uns Restliche geht es zurück zum Flughafen.
Dann geht alles ganz schnell. Check-in und Security habe ich in fünf Minuten hinter mir und kurz darauf sitze ich bereits wieder in einer B737 der Alaska Airlines auf dem Rückflug nach Fairbanks.
Die Flugzeit beträgt etwa 90 Minuten und dieses Mal habe ich schöne Blicke auf die Wildnis von Alaska unter mir. Den Fensterplatz auf beiden Flügen musste ich übrigens nicht extra erfragen, denn den bekommt man automatisch, wenn man einen solchen Ausflug bucht. Ein netter Service, wie ich finde.
Am Abend verwöhnt mich dann auch Fairbanks nochmal mit einem schönen Sonnenuntergang…
… bevor ich todmüde aber total glücklich ins Bett falle. Das war ein Ausflug, der sich absolut gelohnt hat und wenn ich mal wieder nach Alaska komme, will ich unbedingt auch noch nach Nome und auf den Dalton Highway in Richtung Prudhoe Bay.
Hotel: River’s Edge Lodge