Tag 5: Dienstag, 23. April 2019
No Milk Today – Seattle nach Juneau, Teil 1
„Nobody is accidentally in Alaska. The people who are in Alaska are there because they choose to be, so they’ve sort of got a real frontier ethic. The people are incredibly friendly, interesting, smart people – but they also stay out of each other’s business.” – Marcus Sakey
Schon früh lasse ich mich heute mit dem Hotelshuttle wieder zurück zum Flughafen bringen. Draußen ist es noch dunkel und es ist weiterhin recht regnerisch. Doch heute habe ich beste Laune, denn ich werde mir einen weiteren Wunsch erfüllen, den ich schon lange hege, einen Flug auf dem legendären Alaska Airlines Milk Run. Für alle, die damit jetzt nichts anzufangen wissen, möchte ich kurz erklären, was der Milk Run eigentlich ist.
Der Alaska Milk Run, das ist nicht nur eine Flugroute, sondern mehrere, die verschiedene abgelegene Orte in Alaska verbinden. Früher konnten Flugzeuge nur kurze Distanzen zurücklegen und so waren Zwischenlandungen an der Tagesordnung. Doch auch heute noch werden die alten Routen bedient, denn für viele abgelegene Orte ist diese ungewöhnliche Flugverbindung der schnellste und zuverlässigste Weg mit der Außenwelt verbunden zu bleiben. Mehr zum Alaska Milk Run gibt es in meiner vierteiligen Reportage zu lesen, die ebenfalls online ist.
Diese Reise ist mein zweites Alaska Abenteuer. Schon einmal habe ich den amerikanischen Bundesstaat im hohen Norden zuvor besucht, das war 2006, doch seitdem bin ich nicht mehr dort gewesen. Auf dieser Reise werde ich nur einen sehr kleinen Teil Alaskas sehen und doch sehr viel Neues entdecken, aber auch ein wenig Altbekanntes wiedersehen.
Schon vor sechs Uhr bin ich also heute am Flughafen, denn der Milk Run startet zu früher Morgenstunde. Immerhin werden wir mehrere Stunden unterwegs sein und dabei heute vier Starts und vier Landungen absolvieren. Während ich warte, komme ich mit einer Frau ins Gespräch, die ebenfalls nach Juneau unterwegs ist. Zuerst glaubt sie, dass wir im selben Flieger sitzen, doch dann erzähle ich ihr mein heutiges Routing und dabei werden ihre Augen immer größer. Für sie wird der Flug rund zweieinhalb Stunden dauern, ich hingegen werde rund sechs Stunden brauchen, bevor ich in Juneau lande.
Das Boarding startet pünktlich und als Passagier der First Class darf ich auch sofort einsteigen. Die Kabine besteht aus zwölf bequemen Ledersesseln und an jedem Platz befindet sich eine kleine Flasche Wasser.
Ich habe mir den Platz auf der rechten Seite in der ersten Reihe reserviert. Auf dieser Seite soll man auf dem Flug die bessere Sicht haben und von der ersten Reihe kann ich auch schnell mal zur Tür gehen und einen Blick nach draußen werfen.
Pünktlich verlassen wir das Gate und an den Gates sehe ich hier nur Flugzeuge von Alaska Airlines, so weit das Auge reicht. Der bevorzugte Typ der Fluggesellschaft ist die Boeing 737 und die ist in allen Ausführungen zu sehen. Auch ich sitze in einer Maschine dieses Typs.
Nach einer kurzen Fahrt über den Flughafen reihen wir uns in die Schlange vor der Startbahn ein. Das Wetter zeigt sich heute Morgen leider nicht von der besten Seite, aber immerhin ist es trocken und hoffe, dass sich die Wolken auch noch lichten werden.
Nach dem Start habe ich noch kurz ein paar schöne Ausblicke, doch dann stoßen wir auch schon durch die Wolken und die Ausblicke werden weniger.
Bald sind wir allerdings über einer geschlossenen Wolkendecke und es ist erst einmal so gar nichts zu sehen. Dafür beginnt an Bord der Service. Es werden Getränke serviert und anschließend ein kleines Frühstück.
Kurze Zeit später ist dann doch etwas zu sehen. Zumindest die schneebedeckten Spitzen der Berge in der kanadischen Wildnis kann ich erahnen.
Nach knapp zwei Stunden beginnt unser Landanflug auf das erste Ziel – Ketchikan. Der Ort ist die südlichste Siedlung Alaskas und kann nur zu Wasser oder eben aus der Luft erreicht werden. Unter den Wolken kann ich dann auch die ersten Inseln der Gegend entdecken.
Leider wird das Wetter nicht besser und es beginnt zu schütten. Die Wolken hängen tief und eine Fernsicht gibt es auch nicht. Schade, aber nicht zu ändern. Bei meinem letzten Besuch vor dreizehn Jahren hatte ich hier strahlenden Sonnenschein.
Sobald wir aufsetzen, kann ich dann auch kaum noch fotografieren, denn die Fenster sind voll mit Wassertropfen. Einen Blick auf den Flughafen kann ich allerdings erhaschen.
Kurze Zeit später sind wir am Gate und die ersten Passagiere verlassen die Maschine. Danach habe ich kurz Zeit zur Tür zu gehen und einen Blick nach draußen zu werfen. Aussteigen kann ich leider nicht, denn dann müsste ich in den Terminal und dort erneut die Sicherheitskontrolle passieren.
Ein paar Minuten später kommen die neuen Passagiere an Bord. Viele sind es nicht, doch eine handvoll Leute wollen von Ketchikan weiter nach Norden.
Bald müssen alle wieder ihre Plätze einnehmen und die Tür wird geschlossen. Dann geht es zurück zur Startbahn. Der Regen hat zum Glück etwas nachgelassen, sodass ich wenigstens keine Wassertropfen mehr an den Fenstern habe.
Von Sonnenschein sind wir aber leider immer noch weit entfernt, sodass die Landschaft recht grau und trist aussieht. Hoffentlich habe ich in drei Tagen mehr Glück, wenn ich noch einmal in Ketchikan landen werde. Allerdings ist Ketchikan als einer der regenreichsten Orte des Staates bekannt und so ist dieses Wetter hier eher normal.
Der Flug nach Wrangell„ unserem nächsten Ziel, ist nicht weit. Und doch komme ich unterwegs mit meiner Sitznachbarin ins Gespräch. Sie ist eine interessante Dame, die aus Petersburg kommt und auf dem Heimweg ist. Draußen bessert sich derweil rapide das Wetter. Die grauen Wolken verschwinden und es ist sogar etwas blauer Himmel zu sehen.
Nach einer knappen halben Stunde sind wir bereits wieder im Landeanflug. Immer wieder sind kleine Inseln und Fjorde zu sehen. Eine einsame und unbesiedelte Gegend, die man so nur aus der Luft bestaunen kann.
Die nächste Landung steht an, wir setzen in Wrangell auf. Die Stadt ist eine der ältesten Siedlungen Alaskas, die nicht von den Ureinwohnern gegründet wurde und es leben rund 2.300 Menschen in dem Ort. Benannt ist Wrangell übrigens nach dem deutschbaltischen Offizier Ferdinand von Wrangel, der für die kaiserlich-russische Marine tätig war.
Der Weg von der Startbahn ist kurz und der Flughafen hier besteht aus nicht viel mehr als einer Reihe von kleinen Hallen. Anscheinend hat es auch hier kürzlich geregnet, doch jetzt ist das Wetter freundlicher und es sind sogar ein paar Sonnenstrahlen zu sehen.
Der Terminal selbst ist dann eine kleine, unscheinbare Halle, in die gleich nach der Landung eine handvoll Passagiere verschwinden. Danach habe ich wieder Zeit mich ein wenig von der Tür aus umzusehen.
Der Aufenthalt in Wrangell dauert heute etwas länger, denn auch wenn nur wenige Passagiere ein- und aussteigen, wird hier an jedem Stopp viel Fracht umgeschlagen. Nicht nur die Post, sondern Waren aller Art werden ebenfalls über den Luftweg transportiert. Ich schaue mich in der Zwischenzeit etwas um, allerdings kann ich nicht weiter als bis zur Tür gehen, Aussteigen ist auch hier nicht möglich.
Dafür aber ein Blick ins Cockpit, denn auf der Route geht es recht familiär und freundlich zu. Die Cockpitcrew ist nicht hinter der Cockpittür verschanzt, sondern unterhält sich auch gerne kurz mit den Passagieren. Leute wie mich, die diese Strecke rein aus Interesse fliegen, gibt es doch immer wieder und so gibt es auch genügend Gesprächsthemen.
Schließlich geht es aber doch weiter und während wir uns auf den Start vorbereiten, unterhalte ich mich noch ein wenig mit meiner Sitznachbarin. Sie ist eigentlich aus Michigan, doch während eines Studentenjobs in Alaska hängen geblieben, der Liebe wegen, denn hier hat sie ihren Mann kennengelernt, der in der Fischerei arbeitet.
Als wir abheben, erklärt mir meine Sitznachbarin noch, dass dies einer der spektakulärsten Abschnitte des Milk Runs ist. Da die reine Flugzeit nach Petersburg nur rund dreizehn Minuten dauert, werden wir kaum höher als 1000 Meter steigen und dabei auch noch einen Fjord passieren.
Ich bin schon gespannt und hoffe auf wenigstens einigermaßen gute Sicht. Doch was dann kommt, übertrifft selbst die Erwartungen meiner Sitznachbarin, die diese Strecke regelmäßig fliegt.
Im Gegensatz zu mir merkt sie aber sofort, dass wir heute anders fliegen. Wir starten nicht direkt in Richtung Petersburg, sodass wir eine Runde fliegen müssen und die bietet spektakuläre Ausblicke auf die kleine Siedlung mitten im Nirgendwo des südlichen Alaskas.
So kann ich dann schließlich sogar Wrangell und den Flughafen, von dem wir gerade abgehoben haben, aus der Luft sehen.
Weiter geht der Flug über eine faszinierende Landschaft, die immer wieder durch die Wolkenlücken zu sehen ist. Dies ist das Ende eines Gletschers, der irgendwo im Hinterland regelmäßig in die Bucht kalbt.
An den Küsten kann ich sogar kleine Eisberge entdecken, die aus der Luft zwar wie Spielzeug wirken, bei näherer Betrachtung aber sicherlich ziemlich große sein würden.
Leider zieht es sich dann wieder immer mehr zu, sodass ich nicht sehr viel sehen kann. Und kaum sind wir in der Luft, setzen wir sowieso schon wieder zur Landung an. Dieser Flug gehört definitiv zu den kürzesten, die ich je unternommen habe.
Die Landung geht dann rasant, denn viel Höhe mussten wir bei dieser kurzen Strecke ja nicht verlieren. Ich habe noch einen flüchtigen Blick auf einige Häuser, eine Straße und den kleinen Flughafen, dann setzen wir bereits in Petersburg auf.
Zu den Passagieren, die dieses Mal die Maschine verlassen, gehört leider auch meine Sitznachbarin, denn sie ist nun zu Hause angekommen. Für mich geht es aber weiter, sodass ich erst einmal sitzen bleibe. Als der letzte Passagier von Bord ist, bin ich aber zurück an der Tür um zu schauen, wie es denn hier aussieht. Der Terminal ist auch hier winzig und ansonsten gibt es ebenfalls nur einige kleine Hangars. Petersburg, das am nördlichen Ende von Mitkof Island im Alexanderarchipel liegt, hat nicht einmal ganz 3000 Einwohner, von denen die meisten auch heute noch im Fischfang tätig sind.
Ein letztes Mal für heute beobachte ich den Passagierwechsel. Es ist doch immer wieder erstaunlich, wie viele Menschen hier unterwegs sind. Aber das Flugzeug ist für sie nicht nur der Weg in den Urlaub, sondern eher wie Busfahren, zur Arbeit, zum Einkaufen oder auch zum Arzt. Eben eine Nabelschnur zur Außenwelt.
Wer sich übrigens wundert, warum das Flugzeug, in dem ich unterwegs bin, grün ist, dem sei gesagt, dass das eine Sonderlackierung ist. Normalerweise sind die Maschinen von Alaska Airlines weiß und nur mit dem blauen Logo verziert. Diese hier aber trägt eine Lackierung zu Ehren der Portland Timbers, einem Fußballteam aus der größten Stadt in Oregon.
Nach dem recht kurzen Passagierwechsel sind wir dann auch zügig wieder auf dem Weg in Richtung Juneau. Wir haben etwas Verspätung, da das Entladen der Fracht doch etwas länger gedauert hat. Nun müssen wir uns etwas beeilen und Zeit aufholen, denn der Tag für die Crew ist noch lang.
Zur Startbahn geht es dann schon mal wieder ziemlich schnell. Wir sind derzeit die einzige Maschine, die hier abgefertigt wird. Einen Stau, wie man ihn von großen Flughäfen kennt, gibt es hier nicht. Vielmehr ist das Wetter zu beachten, das auch heute zwischen Sonne, Wolken und Regengüssen schwankt.
Einige Minuten später geht es auch schon los. Wir drehen am Ende der Startbahn und beschleunigen. Sekunden später sind wir bereits in der Luft und haben Petersburg wieder verlassen.
Leider ist zunächst nicht sehr viel zu sehen, denn die Wolken hängen wieder tief und dicht. Aber eine paar Ausblicke kann ich doch erhaschen.
Da dieser Flug wieder etwas länger dauert, gibt es an Bord zumindest noch einmal eine Getränkerunde. Dieses Mal aber für alle im Plastikbecher, da dann das Einsammeln schneller geht und die Crew nach der First auch die Economy gleich bedienen kann.
Für ein paar Minuten sind dann wieder nur Wolken zu sehen, doch plötzlich gibt es immer wieder Lücken, durch die ich erkennen kann, dass wir recht dicht über den Spitzen der Berge unter uns fliegen.
Irgendwann sind dann auch wieder die ersten Spuren der Zivilisation zu sehen, als ich eine Straße auf einer der Inseln entdecke.
Nun dauert es nicht mehr lang und die ersten Gebäude von Juneau sind zu sehen. Die Hauptstadt Alaskas gehört auch zu jenen Orten, die nur mit dem Schiff oder dem Flugzeug erreichbar sind. Einen Landweg gibt es aufgrund der kanadischen Eisfelder und vielen Gletscher nicht. Malerisch liegt der Ort mit seinen rund 30.000 Einwohnern entlang eines Fjordes und zwischen zwei Gebirgszügen am Fuße des 1.164 Meter hohen Mount Roberts.
Im Jahr 1881 wurde die Stadt von Siedlern gegründet und wie man heute weiß, nicht unbedingt in bester Lage, denn auch in Juneau regnet es überdurchschnittlich viel. Die Ureinwohner haben ihre Siedlungen an eher trockenen Orten gegründet, denn auch die gibt es in der Region. Doch die Siedler haben da ihren eigenen Kopf gehabt und nun das Nachsehen.
Der Niederschlag, den ich aus dem Fenster sehe, ist aber nicht mal nur Regen, sondern Schnee. Immer wieder entdecke ich Stellen, die wie von Puderzucker überzogen aussehen. Ein Stück weiter ist der Zauber schon wieder vorbei und der Aggregatzustand des Niederschlages ändert sich zurück zu Regen.
Die letzten paar Meter des Landeanfluges sind dann noch einmal richtig toll, denn wir fliegen im Tiefflug über die Mendenhall Wetlands, ein Naturschutzgebiet, dass sich zwischen der Stadt und Douglas Island befindet.
Sanft setzen wir auf der Landbahn des Flughafens von Juneau auf. Aus dem Fenster kann ich schon den Terminal sehen, der hier sogar über vier Fluggastbrücken und einen kleinen Tower verfügt.
Als wir näher kommen, kann ich erkennen, dass auch wir nun an einer dieser Fluggastbrücken andocken werden und als die Anschnallzeichen erlöschen, erhebe ich mich dieses Mal sofort aus meinem Sitz und schnappe mir meine Taschen, denn jetzt heißt es auch für mich aussteigen. Mein erster Flug auf dem Alaska Milk Rund endet hier und vor mir liegen nun erst einmal spannende Tage in Juneau.
Mit meiner Landung in Juneau ist der erste Teil des Milk Run Adventures nun vorbei und ich bin absolut hin und weg. Auch wenn ich leider keine idealen Wetterbedingungen hatte, so hat mich dieser Flug doch restlos begeistert. Viele kleine Eindrücke können die Bilder so gar nicht wiedergeben, das muss man einfach erlebt haben. Spannend sind aber auch die Geschichten, die ich von Crew und Passagieren mitbekommen habe. Es ist schon ein besonderer Schlag Menschen, der hier draußen am Rande der Wildnis lebt und durch die moderne Technik inzwischen doch gut mit dem Rest der Welt verknüpft ist.
Teil 2 folgt auf der nächsten Seite …