Tag 7: Freitag, 14. Juni 2019
Odd and fascinating – Milton Keynes nach Bexleyheath
„I travel a lot; I hate having my life disrupted by routine.” – Caskie Stinnett
Der Morgen begrüßt mich mit dunklen Wolken, na toll. Da werfe ich doch gleich mal wieder alle Pläne über Bord und schaue erst einmal den Wetterbericht an. In Kent ist das Wetter weiterhin toll, sodass ich kurzerhand beschließe, dorthin zurückzufahren und den Plan abermals umzuwerfen. Das bedeutet zwar ein wenig Fahrerei, doch das ist mir lieber, als hier im Nieselregen zu sitzen. So fahre ich wieder los und stecke irgendwo unterwegs plötzlich in einem Stau. Als ich endlich weiterkomme, sehe ich den Grund. Ein Auto hatte mitten im Abbiegevorgang einen Achsbruch und blockiert nun die Fahrbahnmitte. Beide Spuren müssen sich irgendwie vorbeiquetschen.
Als ich die Unfallstelle hinter mich gebracht habe, geht es zügig weiter und nach rund zwei Stunden Fahrt erreiche ich mein erstes Ziel, Quex Park. Unterwegs haben sich die Wolken übrigens komplett verzogen und hier strahlt die Sonne vom blauen Himmel. Also alles richtig gemacht, trotz der Fahrerei. Auf der Wetterapp kann ich sehen, dass es nördlich von London noch immer regnet.
Mit dem Auto fahre ich zunächst auf das Gelände von Quex Park und bin erst einmal falsch. Wer kann denn auch ahnen, dass es hier nicht nur das Herrenhaus und das Museum, sondern noch jede Menge anderer Freizeiteinrichtungen gibt? Nach etwas Suchen finde ich aber den richtigen Parkplatz und stehe kurze Zeit später vor meinem Ziel, Quex House.
Das heutige Quex House wurde 1812 erbaut, auf dem Gelände gab es aber schon frühere Bauten, die aber abgerissen wurden. Verantwortlich für den Neubau war John Powell, der das Grundstück 1805 erbte. Nach seinem Tod im Jahr 1849 erbte sein Neffe Henry Perry Cotton und 1881 dessen Sohn das Anwesen. Die Familie baute das dann nicht mehr moderne Regency House sehr stark um, sodass es das heutige Aussehen bekam.
Der wohl bekannteste Besitzer aber kam 1894 in den Besitz von Quex House und Park, Percy Powell-Cotton. Er hinterließ seinen Stempel auf dem Anwesen, der noch heute zu sehen ist.
Zwei Etagen des Hauses stehen heute für die Besucher offen und können auf eigene Faust besichtigt werden. Eingerichtete sind sie mit dem Inventar der Familie, das in Teilen aus der ganzen Welt zusammengetragen wurde, denn Percy Powell-Cotton war ein Weltreisender, ein Entdecker und ein Sammler. Doch dieser Teil der Geschichte wird in einem anderen Gebäude besser deutlich.
Zuerst einmal schaue ich mich im Haus um und höre plötzlich ein Klopfen, das vom Fenster herkommt. Ich schaue hinaus und sehe diesen Pfau, der offensichtlich mit dem Schnabel an die Scheibe geklopft hat.
Nach dieser kurzen Begegnung setze ich meine Besichtigung fort. Besonders das Wohnzimmer ist eine Augenweide und es gibt Kostbarkeiten aus Asien zu sehen, die in Handarbeit gefertigt und dann nach England verschifft wurden.
Vom Erdgeschoss führt eine wunderschöne Holztreppe in das erste Obergeschoss. An den Wänden sind die Bilder früherer Generationen der Familie zu sehen.
Obwohl die Zimmer hier eher privat waren, haben auch sie viele Besonderheiten. So hat das Schlafzimmer eine Wand, die im Halbkreis geformt ist und dem Raum ein besonders Flair gibt. Auch die Möbel wurden perfekt daran angepasst.
Im ersten Stock befindet sich auch die Bibliothek, die viele Bücher über die Kulturen und Sehenswürdigkeiten der ganzen Welt enthält.
Ein ganz besonderes Stück ist die Congreve Rolling Ball Clock aus dem Jahr 1820. Sie geht auf ein Patent von Sir William Congreve (1772–1828) zurück, der diese besondere Uhr 1808 patentieren ließ. Anstelle eines Pendels hat die Uhr einen kleinen Ball, der in einen Zickzack Kurs über eine Metallplatte rollte. Am Ende angelangt, kippt die Platte und der Ball rollt zurück. Im Idealfall dauert das exakt dreißig Sekunden. Leider haben Staub, Feuchtigkeit und Temperatur einen Einfluss darauf, sodass die Zeit auch länger sein kann und dieser Uhrentyp deshalb recht ungenau ist. Untersuchungen haben gezeigt, dass dadurch zwischen fünfzehn Minuten bis hin zu zwei Stunden Differenz entstehen können.
Hinter der Bibliothek schließt sich ein privates Wohnzimmer an, das sich in der Mitte des Hauses befindet und über einen kleinen Balkon verfügt, der die Front von Quex Haus überblickt.
Damit endet mein kleiner Rundgang im Haus und ich begebe mich zurück ins Erdgeschoss.
Vom Haus laufe ich zu einem weiteren Gebäude, das Percy Powell-Cotton auf dem Anwesen errichten ließ. Heute ist es als Powell-Cotton Museum bekannt und enthält große Teile der Sammlung, die Percy auf seinen vielen Reisen zusammengetragen hat. Später war er auch zusammen mit seinen Töchtern unterwegs, die diese Leidenschaft ihres Vaters teilten. Die Powell-Cottons waren frühe Entdecker, die fremde Länder und Kulturen erforschten.
Gleich die erste der insgesamt acht Galerien ist einfach nur beeindruckend. Rund zweitausend afrikanische Tiere sind hier wie in ihrem natürlichen Lebensraum ausgestellt und bilden damit eine der größten Sammlungen in ganz Europa. Dieser Raum wurde 1947 von Percys Sohn Christopher eingerichtet, der das Museum in seiner heutigen Form schuf, um die Sammlungen der Familie zu zeigen.
Die zweite Galerie ist die älteste und wurde 1896 von Percy Powell-Cotton persönlich eingerichtet. Sie zeigt viele Stücke von seinen Weltreisen und wurde seit ihrer Errichtung nicht mehr verändert.
Besonders beeindruckend ist das Diorama der Tiere aus dem Himalaya, das seitdem unverändert ist und damit als ältestes der Welt gilt. Percy und sein Team harrte im bitterkalten Winter in seinem Camp aus, um diese Region zu erforschen.
In der dritten Galerie befindet sich eine weitere große Sammlung zu Afrika. Nicht zu Tiere hat Percy zusammengetragen, auch Stoffe, Bilder und Geschichten der Einheimischen gehören dazu.
Der Löwe, der so beeindruckend mitten im Raum steht, hat eine ganz besondere Bedeutung. Im Jahr 1906 wurde Percy auf einer seiner Expeditionen fast von ihm getötet.
Dieser Raum ist neben der Galerie zwei der einzige, den Percy im Jahr 1908 noch selbst einrichtete. Alle weiteren Räume wurden erst nach seinem Tod m Jahr 1940 von seinen Kindern gestaltet.
In zwei weiteren Räumen werden viele ethnologische Stücke aus Afrika gezeigt, die teilweise auch von Percys Töchtern Antoinette und Diana zusammengetragen wurden, die die Leidenschaft ihres Vaters teilten.
Um 1900 entwickelte Percy Powell-Cotton ein immer stärkeres Interesse am Naturschutz. Er beobachtete sehr intensiv Tiere in Afrika und sammelte viele Stücke, denn er befürchtete, dass einige Tiere irgendwann ausgestorben sein würden.
Und mit dieser Annahme hatte er nicht so unrecht. So gibt es diesen Schädel eines nördlichen weißen Nashorns, den Percy 1905 im Südsudan entdeckte. Die Rasse ist heute so gut wie ausgestorben.
Im Museum ist eine Vitrine der Familie von Percy gewidmet, die ihn unterstütze und oft begleitete. Die Ausstellung, die hier geschaffen wurde, ist aber nicht nur für die Unterhaltung der Besucher da. Diese einzigartige Sammlung wird auch von Wissenschaftlern aus der ganzen Welt genutzt, die mehr über eine Spezies oder eine Kultur lernen wollen.
Nach dem Museumsbesuch wende ich mich noch dem Garten zu, der sich hinter dem Haupthaus befindet.
Der schöne Landschaftsgarten lädt an diesem Sommertag zu einem Spaziergang ein und bietet tolle Ausblicke auf das Haus und die im Garten angelegten Brunnen und Monumente.
Nach dieser eindrucksvollen Besichtigung fahre ich noch ein Stück weiter in die südöstlichste Ecke von Kent nach Margate. In dieser Gegend gibt es einen Leuchtturm, den ich bisher noch nicht besucht habe, das North Foreland Lighthouse. Von der Straße ist jedoch erst einmal nicht ganz so viel zu sehen von dem schönen Turm, der leider nicht zur Besichtigung offen ist, da er noch immer in Betrieb ist.
Gleich neben dem Tor lese ich das Schild zur Geschichte des Turms, der bereits 1691 zum ersten Mal erstrahlte. Damals hatte er mit dem heutigen Turm aber noch nichts gemein, denn das Aussehen wurde über die Jahrhunderte mehrmals verändert. Erst Ende des 19. Jahrhunderts bekam der Turm sein heutiges Aussehen.
Dann entdecke ich an einem nahen Zaun ein Schild mit der Aufschrift Public Footpath. Damit sind in England Wege markiert, die jeder laufen kann, selbst wenn sie über Privatland führen. Ich folge dem Schild und entdecke einen kleinen Pfad, der zwischen einem Zaun und einer Hecke entlang läuft.
Der Weg ist dann auch ein voller Erfolg. Er biete tatsächlich eine Möglichkeit einen besseren Blick auf den Leuchtturm zu werfen.
Auf dem Rückweg zum Auto entdecke ich noch diesen tollen Briefkasten. Während die meisten Kästen heute das EIIR für Elizabeth II. tragen, gibt es noch immer einige Käste mit den Monogrammen vorangegangener Monarchen.
Vom Leuchtturm fahre ich noch ein wenig die Küste entlang, bis ich die Reculver Towers erreiche. Ich parke auf einem der beiden Parkplätze und laufe das letzte Stück zu dieser beeindruckenden Kulisse an der Küste der Nordsee.
Das Gelände, auf dem die Türme stehen, wurde schon zwischen dem Jahr 200 und 407 als römisches Fort genutzt. Im 7. Jahrhundert wurde in den Ruinen des Forts ein Kloster errichtet. In dieser Zeit entstand auch die Kirche. Während der Invasion der Wikinger wurde das Kloster jedoch verlassen und später nur noch die Kirche genutzt.
Heute stehen nur noch die Kirchtürme und sind weit über das Land zu sehen, denn im Jahr 1805 wurde die Kirche, wahrscheinlich wegen der fortschreitenden Küstenerosion, aufgegeben und abgerissen. Die Türme aber sollten als Positionsmarkierung für die Schiffe stehen bleiben.
So befinden sich hinter den zwei Türmen nur noch spärliche Reste des einst wahrscheinlich ziemlich beeindruckenden Bauwerks. Ein paar Grabsteine sind erhalten und man kann die Grundmauern erkennen.
Heute ist die Küstenlinie übrigens befestigt, denn sonst wären die Reculver Towers wahrscheinlich auch schon längst von der Nordsee verschluckt worden.
Nach dieser eindrucksvollen Besichtigung geht es für mich wieder zurück in Richtung London, wo ich in einem der südöstlichen Randbezirke für heute Nacht ein Hotel reserviert habe. Das Marriott Bexleyheath ist vor allem für Geschäftsleute Anlaufpunkt und wird auch gern für Familienfeiern gebucht. Ich finde zwar die öffentlichen Bereiche recht hübsch, das Zimmer jedoch etwas enttäuschend.
Nach dem langen Tag bin ich aber vor allem froh, endlich angekommen zu sein. Mal schauen, ob ich morgen meine geplanten Besichtigungen durchziehen kann. Erst einmal geht es für mich aber zum Abendessen, wo ich mich heute für Pizza entscheide.
Zurück im Hotel schaue ich nach dem Wetterbericht. Der sieht recht vielversprechend aus. Ich bin gespannt, ob das dann morgen auch so zutrifft.
Meilen: 210
Wetter: Nieselregen, später sonnig, 15–23 Grad
Hotel: Bexleyheath Marriott Hotel