Tag 11: Dienstag, 18. Juni 2019
Art and History – London nach Berlin
„To be happy in this world, first you need a cell phone and then you need an airplane. Then you’re truly wireless.” – Ted Turner
Der letzte Morgen meiner Reise ist angebrochen. Ich habe in meiner Suite sehr gut geschlafen, doch nun heißt es Abschied nehmen. Ich verstaue ein letztes Mal mein Gepäck im Auto und dann fahre ich die wenigen Meilen zum Kew Gardens. Das muss heute gut geplant sein, denn ab 10 Uhr darf man an der Straße vor der berühmten Gartenanlage parken. Davor ist Halteverbot wegen des Berufsverkehrs. Ich komme nur zwei Minuten nach zehn an und schon stehen hier die ersten dreißig Autos. Die Leute scheinen geradezu darauf zu warten. Während ich noch parke, stehen hinter mir schon weitere zwanzig Wagen. Aber egal, ich habe einen der begehrten kostenlosen Parkplätze bekommen.
Mein Grund für einen Besuch von Kew Gardens ist dieses Mal ein ganz Besonderer, nun ja, eigentlich gibt es sogar zwei Gründe. Erstens ist endlich Kew Palace wieder geöffnet. Der alte Königspalast wurde viele Jahre renoviert. Der Hauptgrund aber gerade heute noch herzukommen ist die Ausstellung des berühmten amerikanischen Glaskünstlers Dale Chihuly. Schon seit ich zum ersten Mal seine Werke gesehen habe, damals vor mehr als zehn Jahren in Tacoma in den USA, bin ich ein Fan von Chihuly. Inzwischen habe ich auch die tollen Ausstellungen in Tampa und Seattle besucht, doch in Europa gibt es eine solche Ausstellung eher selten. Und so wollte ich mir diese Chance nicht entgehen lassen.
Nachdem ich meinen Eintritt bezahlt habe, entdecke ich auch gleich hinter dem Eingang die erste Skulptur. Sapphire Star heißt das Werk aus dem Jahr 2010, das gleich neben dem Victoria Gate steht und aus Einzelteilen, die mundgeblasen sind, zusammengesetzt wurde.
Ich beginne nun meinen Rundgang durch die Gartenanlage und mir wird schnell klar, dass ich heute wohl nicht alles schaffe werde. An zweiunddreißig Orten sind die Werke hier ausgestellt und den Kew Palace möchte ich auch noch besuchen. Aber egal, ich versuche zumindest so viel wie möglich zu sehen. Dazu gehört auch dieser bunte Turm, der aus 1.882 Einzelteilen besteht.
Da ich auf direktem Weg gehe, erreiche ich nun zuerst Kew Palace. Eigentlich gab es drei Paläste mit diesem Namen, doch nur der zweite überlebte. Vom ersten ist nicht viel bekannt und der dritte wurde bereits 1828 wieder abgerissen. Dieser Palast, der eigentlich eher ein Herrenhaus ist, wurde 1631 gebaut. Damals waren selbst die Wege aus dem Zentrum von London nach Windsor weit. Zwei Tage dauerte eine solche Reise und so wurde der Palast, der sich ungefähr in der Mitte befand, häufig als Unterkunft für royale Reisende genutzt.
Richtig bekannt aber wurde Kew Palace durch König George III., der den Palast als einziger Herrscher auch regelmäßig längere Zeit bewohnte. Seine Frau, Königin Charlotte, die einst im Schloss Mirow in Mecklenburg geboten wurde, lebte hier mit ihren Kindern auch nach seinem Tod.
Nach einer umfassenden Renovierung, die von 1997 bis 2006 dauerte, wurde die Ausstellung im Palast ganz auf die königliche Familie bezogen, die hier einst lebte. Einige Räume sind wieder so eingerichtet wie 1804, andere erzählen die Geschichte von George III. und Queen Charlotte. In einem Raum gleich neben dem Eingang wird die Familie vorgestellt, der König, die Königin und ihre vierzehn Kinder.
Über das schöne Treppenhaus geht es dann erst einmal in die oberen Etagen. Hier befanden sich die Wohnräume des königlichen Paares.
Ein Raum beherbergt eine ganz besondere Ausstellung, die ich absolut faszinieren finde. Hier sind Karikaturen aus Zeitungen ausgestellt, die das Königspaar nicht immer in so ganz gutem Licht dastehen lassen. So etwas wie die Klatschpresse von zweihundert Jahren. Das ist also keine Erfindung der Neuzeit, die Fotografie hat diese Art der Berichterstattung nur beschleunigt.
Dieser Bild, so wurde gemunkelt, hat die Königsfamilie tief getroffen. Queen Charlotte wird zwischen dem Premierminister und dem Kanzler gezeigt und wie sie versucht, die beiden zu entzweien.
Diese Karikatur aus dem Jahr 1792 zum Beispiel zeigt die oft als gierig porträtierte Queen Charlotte neben ihrem Gatten, wie sie die Hände nach der Mitgift ihrer Schwiegertochter Prinzessin Frederike von Preußen die Hände ausstreckt.
Die weiteren Räume zeigen dann die privaten Gemächer der Königin.
Die Zimmer der Königin überblicken die schöne Gartenanlage von Kew Palace, die etwas abgetrennt vom umliegenden Botanischen Garten gestaltet ist.
Der letzte Raum auf dieser Etage, in den ich komme, ist das Schlafzimmer der Königin. Hier hat Queen Charlotte nicht nur genächtigt, hier ist sie auch verstorben. Genauer gesagt in diesem schwarzen Sessel, der heute noch erhalten ist.
Das Treppenhaus führt auch noch in das Dachgeschoss, wo einige der Kinder ihre Zimmer hatten. Diese wurden aber nicht wieder hergestellt, sondern zeigen das Mauerwerk, aus dem der Palast besteht. Zuletzt geht es wieder zurück ins Erdgeschoss, wo noch ein letzter Raum wartet, das Speisezimmer.
Nach der Innenbesichtigung schaue ich mir natürlich auch noch den Garten an. Leider hat sich die Sonne inzwischen komplett hinter den Wolken versteckt, was ich heute schon etwas schade finde, aber nun mal nicht zu ändern ist.
Neben dem Palast wurde auch der Küchengarten restauriert, der damals zu jedem Herrenhaus gehörte. Schließlich musste die Versorgung der Herrschaften sichergestellt sein.
Ebenfalls zu besuchen ist das sogenannte White House, das von Frederic, Prince of Wales, dem Vater von George III. einst ausgebaut wurde. Es befindet sich direkt neben dem Palast und hier waren unter anderem Verwaltungsräume sowie die Küche untergebracht.
Einen letzten Blick werfe ich noch auf den Palast, dann ist meine Besichtigung endgültig abgeschlossen und ich wende mich wieder dem Botanischen Garten zu.
Die riesige Anlage direkt an der Themse gehört heute zu den ältesten botanischen Gärten der Welt und wurde 2003 sogar in das UNESCO-Welterbe aufgenommen. Lange Wege laden zum Flanieren ein, doch für mich ist das heute eher hinderlich, denn mir sitzt die Zeit im Nacken. Es ist ja nicht so, dass ich noch nie hier war, aber ich möchte eben die restlichen Chihuly Werke doch gerne noch sehen.
Am 1837 fertiggestellten King Williams Temple werde ich schließlich wieder fündig. Hier wurden weitere Chihuly Werke in die Natur eingebunden. Und das ist ja auch der Titel der Ausstellung „Reflections on Nature”. Viele der hier gezeigten Skulpturen sind entweder von der Natur inspiriert oder fügen sich nahtlos in sie ein.
Auch in der Wiese neben dem Weg zum Palmenhaus, sind gläserne Gebilde zu finden. Im Frühling wird dieser Part am dramatischsten gewirkt haben, wenn die Bäume und die Wiese hier in voller Blüte standen. Nun aber ziehen vor allem die roten Glasskulpturen die Blicke auf sich.
Eines der Herzstücke von Kew Gardens ist das 1859 bis 1863 erbaute Temperate House, das bis 2018 für fünf Jahre wegen Renovierung geschlossen war. In dem Gewächshaus, das aus mehreren Bereichen besteht, wachsen Pflanzen aus Südafrika, Australien, Amerika, Neuseeland, Asien. Darunter befindet sich eine sechzehn Meter hohe Honigpalme, die aus einem Samen gezogen wurde und heute die höchste Palme der Welt ist, die in einem Gewächshaus zu finden ist.
Für mich sind aber heute nicht nur die Pflanzen interessant, sondern auch die Skulpturen, die hier zu sehen sind. Nicht zu übersehen sind die riesigen blauen Blüten, die von der Decke hängen. Dieses neunzehn Meter lange Werk wurde übrigens extra für die Ausstellung geschaffen.
In den zahlreichen tropischen Pflanzen verstecken sich aber noch so einige andere Skulpturen, die den größtenteils grünen Pflanzen einen wunderbaren Farbklecks verpassen.
Über die Wendeltreppen in den Ecken der Halle kann ich auf eine kleine Balustrade klettern, die einmal um den gesamten Mittelteil des Gebäudes reicht und so sehr schöne Ausblicke ermöglicht.
Wieder unten, schaue ich auch noch in die Seitengebäude, wo weitere Skulpturen zu finden sind.
Die zwei großen Werke vor dem Haupteingang des Temperate House sind aus der Faszination des Künstlers für Kronleuchter entstanden. Die zwei riesigen Glasskulpturen passen wunderbar vor das viktorianische Glashaus. Schade, dass sie nur einen Sommer hier zusehen sind.
Wie in vielen anderen königlichen Gärten in ganz Europa gibt es natürlich auch in Kew einen asiatischen Garten. Zuerst erreiche ich die 1762 erbaute Pagode. Leider hat es inzwischen zu regnen begonnen, doch noch gebe ich nicht auf und will weitergehen. Die Pagode ist übrigens fast fünfzig Meter hoch und kann über 253 Stufen auch bestiegen werden. Das spare ich mir aber heute, denn eine schöne Sicht gibt es wohl eher nicht.
Nur ein kleines Stück entfernt steht das 1910 errichtete Chokushi-Mon, das Tor des kaiserlichen Gesandten. Die Nachbildung des Eingangstores eines Tempels in Kyoto wurde für die Japanisch-britische Ausstellung in London erbaut, danach abgebaut und hierher nach Kew Gardens gebracht.
Umgeben ist das Tor von einem japanischen Steingarten, der einer Anlage aus dem 16. Jahrhundert nachempfunden ist. Die bunten Glaskugeln aber stammen natürlich von Chihuly und wurde hier für die Zeit der Ausstellung kunstvoll platziert.
Während ich weiter laufe, höre ich schließlich eines von vielen Flugzeugen herannahen, die hier heute schon vorbeigekommen sind. Ja, auch Kew Gardens liegt in der Einflugschneise von London-Heathrow. Bei dieser Maschine drücke ich jedoch auf den Auslöser, denn inzwischen ist das ein historisches Bild. Nach Frankfurt hat Air New Zealand inzwischen auch den Flug nach London eingestellt und so ist solch eine Maschine über dem europäischen Himmel nicht mehr zu sehen.
Kurze Zeit später stehe ich vor dem Ruined Arch, einer Ruine, die als solche erbaut wurde, ein sogenannter Folly. Dieser Torbogen wurde 1759 für Prinzessin Augusta erbaut und sollte den Garten verzieren.
Auf meinem weiteren Weg komme ich noch am Lime Crystal Tower vorbei, wie diese gelbliche Skulptur betitelt ist.
Da es inzwischen immer mehr regnet, kommt es mir ganz recht, dass ich nun die Shirley Sherwood Galerie erreiche. Hier sind die kleineren Chihuly Werke ausgestellt, die der Künstler mit nach Europa gebracht hat.
Wer nun bereits genug von den herrlich bunten Glasskulpturen gesehen hat, der sollte jetzt lieber schnell weiterscrollen, für alle anderen folgt ein weiterer Augenschmaus. Die Ausstellung ist ein weiteres Highlight und zeigt die Vielseitigkeit der Glaskunst des Dale Chihuly.
Als ich wieder nach draußen komme, ist es zwar noch immer grau, doch zumindest der regen hat nachgelassen. So laufe ich noch zum Tropenhaus, das 1841 bis 1849 errichtet wurde und damit das älteste noch erhaltene viktorianische Tropenhaus der Welt ist.
Hier gibt es auch noch einiges zu entdecken, das findet auch dieser Erpel, der die bereits 1998 geschaffene leuchtende Skulptur Summer Sun ebenso gestaunt, wie die umstehenden Besucher. Das Werk ist aus 1483 Einzelteilen zusammengefügt und ich bin schon etwas traurig, dass es gerade keine Sonne gibt, die es zum Leuchten bringt.
Rund um das Palmenhaus war ich vor zwei Jahren im Winter unterwegs. Da sah es hier ganz anders aus, denn Kew Gardens ist auch jedes Jahr Austragungsort von Christmas at Kew, einer bunten Lichtshow, die Teile des Gartens erleuchtet.
Gleich neben dem Palmenhaus befindet sich noch das Seerosenhaus, das 1852 erbaut wurde und in dem wunderschöne Seerosen zu bewundern sind. Momentan gehören dazu aber auch einige zarte Glasblüten von Dale Chihuly.
Irgendwann muss ich mich aber losreißen, obwohl ich nicht einmal die ganze Ausstellung in Ruhe sehen konnte. Der Londoner Botanische Garten ist einfach zu groß und meine Abflugzeit rückt immer näher. So mache ich mich auf den Rückweg zu meinem Auto und fahre dann auf direktem Weg zum Flughafen Heathrow. Unterwegs tanke ich noch voll, bevor ich das Auto wieder abgebe und mit dem Shuttle zum Terminal fahre. Hier werde ich von Hunderten bunten Schirmen empfangen, die gerade Teil einer Ausstellung sind.
Die Sicherheitskontrolle bringe dank meines Zugangs zum British Airways First Wing schnell hinter mich und so bin ich schon wenige Minuten später in der Lounge, wo ich gemütlich auf meinen Abflug warte.
Pünktlich beginnt dann auch der Einstieg und als wir das Gate verlassen, beginnt es zu regnen. London weint, weil ich abfliege. Doch ich werde bald wiederkommen. Schon im gute zwei Monate später werde ich noch einmal in England unterwegs sein.
Heute aber schaue ich wehmütig auf die vielen Maschinen, die die Menschen in jeden Winkel der Erde bringen. Wie gerne würde ich auch in einer sitzen und bereits zu meinem nächsten Abenteuer aufbrechen.
Nach dem Start habe ich noch ein paar Minuten Sicht auf die Landschaft, bevor wir über die Wolken steigen.
In Berlin sieht das Wetter dann ganz anders aus und ich lande nach knapp zwei Stunden bei strahlendem Sonnenschein auf dem Flughafen Tegel.
Damit ist auch diese Reise zu Ende, auf der ich wieder viel erlebt und gesehen habe. Hier aber folgt noch ein Special zum Plane Spotting in Heathrow sowie das Fazit, bevor ich eine neue Geschichte aus einem anderen Winkel der Erde erzähle.
Meilen: 50
Wetter: bedeckt mit Schauern, 15–18 Grad