Tag 17 – Samstag, 10. Oktober 2015
Working hard for the Money – Andover nach Hartford
„I pity the man who wants a coat so cheap that the man or woman who produces the cloth or shapes it into a garment will starve in the process.” – Benjamin Harrison
Das schlechte Wetter ist heute Morgen wie weggeblasen oder vielleicht hat es der Wind auch wirklich aufs Meer hinaus gepustet. Nur recht frisch ist es, sodass ich mich doch etwas wärmer einpacke. Die Kälte scheint aber anscheinend der Laubfärbung gutzutun, denn die wird immer intensiver.
Bei meiner Recherche auf der Seite des National Park Service bin ich auch auf den Lowell National Historic Park gestoßen. Eine ganze Innenstadt, die hier geschützt wird? Das will ich mir mal näher ansehen.
East Chelmsford, das erst später zu Ehren eines der Gründer der Fabriken in Lowell umbenannt wurde, wurde im 17. Jahrhundert von den Europäern besiedelt. Der Ort liegt am Merrimack River und wurde deshalb bewusst für die erste geplante Industriestadt in den USA ausgewählt. Damals wurde das Wasser von Flüssen genutzt, um Maschinen anzutreiben. Anders als andere Orte in den USA wurden hier aber nicht einfach nur Fabriken gebaut. Es wurde eine komplette geplante Stadt geschaffen. Es sollte hier anders sein, als in den beengten englischen Industriestädten, wo Menschen unter unwürdigen Umständen schuften mussten. Die Erbauer hatten sich auf einer Reise durch englische Städte gründlich informiert. Es wurden also Wohnungen für die Arbeiter gebaut, mit viel Grün drumherum und auch Möglichkeiten seine Freizeit zu verbringen.
Weiterhin wurde ein kompliziertes Kanalsystem geschaffen, das den Merrimack River auch mit dem Charles River verband, der durch Boston fließt. So konnte die Wasserkraft nicht nur zum Antrieb der Maschinen genutzt werden, sondern auf den Flüssen konnten die Waren transportiert werden.
Besonders war auch, dass die Textilfabriken, denn in Lowell wurden ausschließlich Stoffe und Kleidung produziert, viele junge Frauen anzogen. Die sogenannten „Mill Girls” waren unverheiratet und wollten dem tristen Leben auf dem Land entfliehen. Extra für sie gab es Gemeinschaftswohnhäuser, wo sie Kost und Logis bekamen. Eines dieser Häuser gibt es auch heute noch und es kann besichtigt werden.
Geprägt aber ist das Stadtbild besonders durch die vielen Fabrikbauten. In einem ist ein Teil einer solchen Textilfabrik heute noch erhalten und kann von Besuchern besichtigt werden.
Die Boott Cotton Mill war eine der großen Fabriken in Lowell. Heute ist sie ein Museum, in dem die Vergangenheit wieder lebendig wird. Aber nicht nur das, die Gebäude um die Fabrik wurden in den letzten Jahren renoviert und in Wohnungen umgebaut. So wurde begonnen, der Stadt wieder Leben einzuhauchen.
Im Museum zahle ich zuerst meine $3 Eintritt. Ohne NPS Pass kostet es $6. Dann bekomme ich eine kurze Einführung zur Geschichte, bevor mir der Ranger einen der Webstühle erklärt. Mit Maschinen wie dieser wurden die Stoffe in der Fabrik hergestellt. Jedes Mill Girl arbeitete an solch einer Maschine und zur Arbeit gehörten auch verschiedene Utensilien, die in einem Schaukasten ausgestellt sind.
Hinter einer Glasscheibe kann ich dann bereits einen riesigen Raum entdecken, der bis zur Maximalkapazität mit solchen Maschinen bestückt ist. Ziemlich laut ist es auch, doch noch ahne ich nicht, wie laut. Ich sehe nur den Warnhinweis, dass besonders Kinder einen Gehörschutz tragen sollten. Durch zwei Glastüren trete ich ein und werde fast erschlagen von dem Lärm. Es ist kaum zu ertragen und dabei laufen nicht mal die Hälfte aller Maschinen. Wie konnte man hier nur täglich arbeiten?
Zwei Damen in historischen Kostümen führen die Arbeit der Mill Girls an der Webstühlen vor. Das ist super interessant, nur die Verständigung ist aufgrund der Lautstärke der Maschinen etwas schwierig.
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Irgendwann halte ich den Krach aber einfach nicht mehr aus und gehe über eine Treppe ins Obergeschoss. Hier ist ein Museum zu den Stofffabriken von Lowell eingerichtet.
Auch thematisiert sind die Mill Girls, denn junge Frauen, die in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts arbeiten, allein leben und unverheiratet sind, das war schon etwas wie ein Novum. Das Kleid ist übrigens die typische Arbeitskleidung eines Mill Girls.
Ebenfalls gezeigt werden die Stoffe und Muster, die in den Fabriken hergestellt wurden und welche Produkte man daraus schneiderte. Die Massenproduktion von Kleidung revolutionierte das Land, denn dadurch wurde Kleidung für jeden erschwinglich und konnte einfach fertig im Geschäft gekauft werden.
Auch der Niedergang der Fabriken wird nicht verschwiegen, denn dieses Kapitel gehört ebenfalls zu Lowell. Irgendwann wurden Stoffe anderswo billiger produziert. Nicht nur in Asien, auch in anderen Landesteilen, denn man brauchte nicht mehr die Wasserkraft, hatte man doch jetzt auch Dampfmaschinen. Durch die Massenproduktion fielen die Preise und dadurch die Löhne. Die Lebensqualität der Arbeiter nahm ab und Arbeitslosigkeit grassierte. Viele zogen weg, die Fabriken standen leer und verfielen.
In der 60er und 70er Jahren taten sich schließlich engagierte Bürger zusammen, um das Vermächtnis von Lowell zu bewahren. Das endete in der Gründung des National Historic Parks sowie mehreren, unter Denkmalschutz, stehenden Stadtgebieten.
Wow, das ist unerwartet, richtig interessant gewesen. Ich hätte gern noch etwas mehr Zeit hier verbracht, doch ich will ja noch das Codman Estate besichtigen. Und das kann ich beim besten Willen nicht verschieben, denn es ist selten genug, dass das Haus überhaupt geöffnet hat und ein riesiger Zufall, dass ich gerade hier bin. Geöffnet ist nämlich nur an acht Samstagen im Jahr und heute ist der letzte Samstag im Jahr 2015.
Das Codman Estate wurde um 1735 von Russell Chambers I. erbaut und 1790 von John Codman im Federal Style ausgebaut und vergrößert. Fünf Generationen der Codmans wohnten in dem Haus und hinterließen es reicht ausgestattet. Im Jahr 1960 vermachte Dorothy Codman das Haus Historic New England und seitdem ist es für Besucher geöffnet.
Zum Haus gehört auch ein schöner italienischer Garten und das gesamte Grundstück umfasst heute etwa 6,5 Hektar.
Spontan beschließe ich noch zur Frederick Law Olmsted National Historic Site zu fahren, denn die ist auch nicht täglich geöffnet, aber samstags schon.
Im Jahr 1883 kaufte Olmsted ein Grundstück in Brookline, einem Vorort von Boston und baute das Haus, das hier stand, aus. Schließlich nannte er es Fairsted. In diesem Haus wohnte Olmsted nicht nur, auch seine berühmte Landschaftsarchitekturfirma war hier beheimatet. Nach seinem Tod ging das Haus leider durch viele Hände seiner Partner, sodass von den Privaträumen nichts mehr erhalten ist. Hier ist heute ein Museum untergebracht. Das Obergeschoss aber, wo die Firma ihre Ursprünge hatte, wurde einfach verschlossen und ist somit originalgetreu erhalten geblieben.
Während ich das Museum im Erdgeschoss auf eigene Faust erkunden kann, muss ich mich für das Obergeschoss einer Tour anschließen. Die startet aber nicht im Haus, sondern im Garten, den Olmsted nach seinem eigenen Design anlegte. Hier erklärt die Rangerin auch sehr viel über das Grundkonzept aller Designs des bekannten Landschaftsarchitekten.
Dann aber geht es zurück ins Haus und in das Obergeschoss. Und das ist wirklich hochinteressant, denn hier erfahre ich alles über die Anfänge der Firma und wie man damals gearbeitet hat. Auch Teile des Archivs bekomme ich zu sehen. Noch heute ist es vollständig. Es gibt Kopien aller Aufträge, die die Firma jemals betreut hat. Und zu jedem Auftrag gibt es auch Skizzen sowie unzählige Fotos. Ein wahrer Schatz, den der NPS gerade zu digitalisieren beginnt.
Nun wird es aber Zeit, Massachusetts zu verlassen. Ich habe ja noch ein Stückchen Weg vor mir bis Hartford und ich will auch nicht nur über den Interstate fahren. Das ist eine gute Entscheidung, denn ich komme durch eine schöne Gegend, in der auch die Laubfärbung so langsam einsetzt.
Erst mit der untergehenden Sonne erreiche ich so den Großraum Hartford. Hier bin ich im Marriott in Windsor untergekommen. Das hatte ich zu einem günstigen Preis bekommen, doch im Nachhinein war es leider etwas nervig. Das lag aber nicht am Hotel, sondern daran, dass hier irgendwie sämtliche Fußballkinder der ganzen Region mit ihren Eltern für irgendein Turnier abgestiegen sind. Mein Zimmer ist zwar nach oben hin gut isoliert, doch leider rennen die Kleinen auch immer wieder munter kreischend über die Flure. Zum Glück müssen sie anscheinend recht zeitig ins Bett, sodass in der Nacht Ruhe herrscht.
Meilen: 178
Wetter: sonnig, 9–16 Grad
Hotel: Marriott Windsor