Tag 6: Sonntag, 03. September 2017
42 degrees North – London nach Detroit
„My mother taught me to drive using the ‚Detroit Method,’ where speed limits and traffic lights are taken as cute suggestions.” – W. Bruce Cameron
In London ist es weiterhin bedeckt und es regnet sogar etwas, so hält mich hier nichts mehr, denn das Banting House hat heute sowieso geschlossen und weiter in Richtung Toronto will ich diesmal nicht. Schon früh packe ich meine Sachen und fahre zurück in Richtung USA. Heute nehme ich jedoch eine andere Route, denn ich möchte noch einen kanadischen National Park besuchen, den ich bisher nicht kenne, den Point Pelee National Park.
Der Park wurde bereits 1918 gegründet und ist einer der zehn ältesten Nationalparks in Kanada. Point Pelee liegt auf einer Halbinsel, die weit in den Eriesee hineinragt. Doch davon ist während meiner Fahrt erst einmal nichts zu sehen. Sobald ich die letzten Siedlungen hinter mir gelassen habe, führt die Straße durch einen nicht enden wollenden Baumtunnel.
Nach einer fast nicht enden wollenden Fahrt erreiche ich schließlich das Visitor Center, wo ich mein Auto abstelle, um mir weitere Informationen zu besorgen. Point Pelee wird auch „The Tip of Canada” genannt, denn die Spitze der Halbinsel ist der südlichste Punkt des kanadischen Festlands. Nur eine kleine Insel, die auch zum Park gehört, liegt noch etwas südlicher.
Im Visitor Center hängt eine überdimensionale Karte, die alle Nationalparks in Kanada zeigt. Da gibt es auch hier einige und manche in ziemlich unwirtlichem Gebiet, das ich wohl niemals erreichen werde.
Vor der Tür gibt es einen kleinen Teich, in dem ich ein paar Frösche beobachten kann.
Im Visitor Center habe ich dann auch erfahren, wie das mit dem Besuch des südlichsten Zipfels funktioniert, denn einfach mit dem Auto hinfahren, das geht leider nicht. oder besser gesagt, es ist nur im Winter möglich, weil es nicht genügend Parkplätze gibt. So muss ich entweder zu Fuß gehen oder den Shuttle nutzen. Ich entscheide mich für letzteres, um erst einmal einen Überblick zu bekommen.
Nach kurzer Fahrt lädt mich der Shuttle am südlichen Parkplatz ab. Mit an Bord waren um diese Zeit noch wenige Menschen, anscheinend schläft man heute aus. Hier gibt es eine kleine Ausstellung zu den vier Ecken Kanadas, denn sie alle sind als National Park geschützt.
Außerdem liegt der Park noch genau auf dem 42. Breitengrad. In Europa liegt auf selber Höhe zum Beispiel Korsika, im Westen die Grenze zwischen Kalifornien und Oregon oder auch Chicago.
Von der kleinen Ausstellung geht es dann zunächst auf einem Boardwalk durch den Wald. Nur eine vierköpfige chinesische Familie macht sich außer mir auf den Weg, aber das wird reichen, um ich zu nerven.
Irgendwann muss ich dann aber entweder einen Abzweig verpasst haben, oder der Weg ist zugewachsen, jedenfalls lande ich auf einer Art Trampelpfad, der aus Sand besteht. Zumindest aber sehe ich endlich mal Wasser.
Durch den Sand geht es dann weiter am Ufer entlang. Als ich Schade ist, dass es hier völlig bedeckt ist. Komisch, im nördlichen Teil des Parks, der nur wenige Kilometer entfernt ist, schien die Sonne. Ich will also gerade ein paar Fotos machen, da taucht plötzlich die chinesische Familie auf und als wenn es nicht genügend Platz gäbe, müssen sie natürlich immer genau dort herumtanzen, wo ich bin. nach einer Weile ziehen sie aber weiter.
Nun sind es nur noch wenige Meter und ich habe den südlichsten Zipfel des kanadischen Festlandes erreicht. Dieser Strand mit den paar Felsbrocken, die in den Eriesee hineinragen, ist sozusagen das Ende von Kanada.
Spannend finde ich auch, dass ich vor wenigen Tagen noch am Südufer des Lake Erie gewesen bin, das von hier aber nicht zu erkennen ist. Im Visitor Center wurde ja gewarnt, hier ins Wasser zu gehen, denn rund um die Spitze gibt es gefährliche Strömungen. Und auch Wind und Wellen erscheinen hier viel kräftiger.
Die chinesische Familie scheint das aber nicht weiter zu interessieren und so turnen sie mit ihren kleinen Kindern auf den Steinen herum, machen Krach und natürlich Selfies. Bis die Mutter fast ins Wasser plumpst, dann treten sie endlich den Rückzug an und verschwinden. Nun habe ich meine Ruhe und kann mich hier umsehen.
Nach einer Weile trete aber auch ich den Rückweg an, denn der Wind ist heute ganz schön frisch. Den Rückweg will ich zu Fuß zurücklegen und entdecke einen schönen Weg direkt am Seeufer. Nach rund einem Kilometer kommt dann wieder die Sonne raus, komisches Wetter ist das hier.
Unterwegs finde ich dann noch diese Tafel, die über Middle Island aufklärt, das wirklich der südlichste Punkt Kanadas ist, wenn man alle Inseln mitzählt.
Umso weiter ich in Richtung Visitor Center laufe, desto schöner wird das Wetter wieder. Bald habe ich nur noch blauen Himmel über mir.
Über dem See kann ich aber die Wolkenkante erkennen, die wohl den Hauptteil des Sees heute überspannt und somit auch noch den südlichen Teil von Point Pelee trifft.
Nach einer guten Stunde bin ich dann wieder zurück am Auto und fahre ein paar Kilometer weiter zu einem weiteren Parkplatz. Von hier führt ein kleiner Trail zum DeLaurier House.
DeLaurier House ist ein Zeuge aus einer längst vergangenen Zeit, denn noch vor 60 Jahren gab es hier eine kleine Siedlung. Doch zum Schutze der Natur wurden die Menschen hier zum Umzug gezwungen und die meisten Gebäude angerissen. DeLaurier House jedoch wurde als Denkmal stehen gelassen.
Zwischen 1850 und 1966 gab es hier am Point Pelee eine französisch-kanadische Siedlung, eine der wenigen außerhalb von Quebec. Die Siedler verwandelten Sumpfland in Ackerland und schufen eines der ersten großen Landwirtschaftsgebiete in Ontario.
DeLaurier House wurde von Oliver DeLaurier erbaut und war so etwas wie das Herz der Gemeinde. Hier traf man sich am Abend auf ein Bier oder feierte Feste. Bis heute ist das Haus wie eine Zeitkapsel und als Erinnerung an die Siedler erhalten geblieben.
Das Sumpfland, das die Siedler einst zu Ackerland machten, wurde nach deren Umsiedlung größtenteils renaturiert und damit kommen wir zu meinem dritten Stopp im Park. Inzwischen ist es später Vormittag und es wird merklich voller. Auf dem Parkplatz habe ich Mühe einen Stellplatz zu finden. Ist aber auch kein Wunder, denn hier gibt es nicht nur einen Aussichtsturm und einen Boardwalk, sondern auch einen Kanuverleih und dort tummeln sich viele Leute.
Zum Paddeln habe ich keine Lust und so klettere ich auf den Aussichtsturm, um mir einen Überblick zu verschaffen. Mein erster Gedanke als ich oben bin, das sieht hier irgendwie ein bisschen aus wie in den Everglades, fehlen nur die Alligatoren.
Wieder unten starte ich den 1,4 Kilometer langen Rundweg auf dem Boardwalk, der sich durch den Cattail Marsh schlängelt.
Bei meiner Rückkehr zum Auto warten die nächsten schon sehnsüchtig auf die Parklücke, komisch, auf dem Trail war gar nicht so viel los. Da müssen wirklich viele Leute paddeln sein. Ich fahre weiter Richtung Ausgang und halte noch ein letztes Mal an einem kleinen Parkplatz. Von dort führt ein kurzer Weg zum Lake Erie, der hier viel ruhiger ist als einige Kilometer weiter südlich.
Als ich nach links schaue, kann ich dann sogar die Südspitze erkennen, die sich aber anscheinend noch immer in dicke Wolke hüllt.
Da bleibe ich lieber noch ein Weilchen hier und genieße den Strand, den ich ganz für mich allein habe. Die kurze Badesaison im Sommer ist hier längst vorbei.
Gegen Mittag breche ich dann wieder Richtung Grenze auf. Kurzzeitig habe ich mit dem Gedanken gespielt, den Grenzübergang in Sarnia zu nehmen, den ich bereits aus 2004 und 2011 kenne, diese Idee jedoch wieder verworfen, da mit der Umweg zu weit erschien und ich die heutige Nacht schon in Detroit gebucht hatte.
So lande ich nun wieder in Windsor, wo ich noch kurz an einer Mall halte, um in einen Hudson Bay Store zu schauen, aber nicht weiter fündig werde. Dann geht es weiter auf direktem Weg zur Grenze. Heute will ich aber nicht den Tunnel nehmen, sondern die Ambassador Bridge, ich habe ja keine Ahnung, auf was ich mich hier einlasse. Aber erst einmal sieht alles super aus, als ich auf die Brücke fahre, die ich noch gestern vom Park aus bestaunt habe.
Nach dem Überqueren der Brücke erreiche ich die Einreisekontrolle für die USA. Naja, sagen wir mal so, ich versuche es. Ich habe die Grenze nach Kanada ja schon oft überquert, aber so etwas wie hier habe ich noch nie erlebt. Nicht mal zwischen Seattle und Vancouver war das Chaos so groß. Denn während die Brücke zwei Spuren hat, auf der sowohl Autos als auch LKW unterwegs sind, öffnet sich dahinter ein riesiger Platz ohne Spuren oder sonst was und in weiter Ferne stehen die Kontrollhäuschen. Dazwischen herrscht Anarchie zwischen LKWs und PKWs, denn jeder versucht sich irgendwie in eine Schlange einzuordnen, das reinste Chaos. Irgendwie schaffe ich es aber doch mich anzustellen, rund eine dreiviertel Stunde zu warten und schließlich bei einem Officer vorzufahren. Die Einreise ist dann super schnell erledigt, da ich ja schon aus den USA kam und auch keine Waren zu verzollen habe. Ich bin zurück in den USA.
In Detroit selbst ist dann gähnende Leere auf den Autobahnen, denn am heutigen Sonntag ist hier nichts los. Ich lasse die Stadt links liegen und fahre in den Vorort Rochester Hills, wo sich die Meadow Brook Hall befindet, die ich mir heute anschauen will.
Detroit ist ja bekanntlich die Wiege der amerikanischen Automobilindustrie und so ziemlich jeder kennt wohl den berühmtesten Einwohner, Henry Ford, dessen Elternhaus und auch Wohnhaus heute genauso Museen sind, wie einige seiner Fabriken. Doch es gab noch andere Autopioniere in der Gegend, wie zum Beispiel die Familie Dodge.
Meadow Brooks Hall liegt auf dem Grundstück der Oakland University, zumindest heute, und so fahre ich an einem Sonntagnachmittag über ein gähnend leeres Universitätsgelände, um den Parkplatz zu erreichen. Von dort geht es zu Fuß auf diesen großen Vorhof. Schon an den Nebengebäuden sieht man, auch hier wurde alles im Tudor Stil erbaut. Englische Landhäuser waren in Mode.
Aber ganz so historisch korrekt ist man dann natürlich nicht, denn wir befinden uns schließlich auf dem Anwesen eines der großen Automobilhersteller, bzw. seiner Erben. Und so führt mich mein Weg erst einmal in die Garage, wo eine schöne Auswahl an historischen Dodge Fahrzeugen zu sehen ist.
Von der Garage geht es nun weiter, vorbei an schönen Nebengebäuden, die einst vom Personal bewohnt wurden.
Dann stehe ich vor dem Haupthaus, Meadow Brook Hall. Erbaut wurde es 1926–29 für Matilda Dodge Wilson und ihren Mann Alfred G. Wilson. Ihr Vermögen erbte Matilda von ihrem ersten Ehemann, John Francis Dodge. Dodge und sein Bruder gründeten 1914 die Dodge Motor Company, mit der sie sofort extrem erfolgreich wurden. John war insgesamt drei Mal verheiratet. Seine erste Frau, mit der er drei Kinder hatte, verstarb an Tuberkulose. Seine zweite Frau war seine Haushälterin und er ließ sich schon kurze Zeit später scheiden. 1907 ehelichte er dann Matilda Rausch, Kind deutschstämmiger Einwanderer aus Ontario. Mit ihr hatte Dodge nochmals drei Kinder, von denen aber nur eines ein hohes Alter erreichte. Die jüngste Tochter verstarb mit fünf Jahren an den Masern, ein Sohn mit 21 Jahren bei einem Unfall.
John Francis Dodge und seinen Bruder ereilte jedoch auch selbst ein trauriges Schicksal. Auf dem Höhepunkt ihres Erfolges reisten sie 1920 nach New York und infizierten sich dort mit der Spanischen Grippe. beide Brüder überlebten die Erkrankung nicht und so wurde Matilda Dodge zur Witwe mit drei kleinen Kindern und gleichzeitig schlagartige die reichste Frau der USA. Fünf Jahre später heiratete sie den Holzbaron Alfred G. Wilson. das Ehepaar lies nun für sich und die Kinder ihr Traumhaus errichten – Meadow Brook Hall.
Zusammen mit ihrem zweiten Mann und den Kindern Daniel und Frances sowie den zwei Adoptivkindern Richard und Barbara zog die Familie in das Haus ein.
Meadow Brook Hall wurde im Tudor Stil erbaut. Das Land, auf dem sich das Haus befindet, gehörte ursprünglich John F. Dodge, der hier eine Farm aufkaufte, die seine Familie als Ferienhaus nutzen wollte. Die Kosten für den Hausbau betrugen damals vier Millionen Dollar. Matilda Dodge Wilson lebte hier bis zu ihrem Tod, abgesehen von Ausflügen in ihr Sommerhaus in Bar Harbor, Maine, sowie ihr Winterhaus in Scottsdale, Arizona.
Das Haus ist heute ein Museum und wird aber auch für Hochzeiten genutzt. Auch an diesem Sonntag gibt es eine Feier, doch die findet nur in einem Flügel sowie im Garten statt. Ich darf das Anwesen trotzdem erkunden. Von einer netten Mitarbeiterin werde ich durch das Haus geführt. Außer mir ist keiner da, sodass ich mal wieder eine tolle Privatführung bekomme.
Meadow Brook hall hat insgesamt 8200 Quadratmeterwohnfläche, verteilt auf 110 Zimmer. 1957 spendet das Ehepaar ihr Anwesen der Michigan State Universität zusammen mit zwei Millionen Dollar in bar, um die Oakland Universität zu gründen, auf deren Gelände sich Meadow Brook Hall noch heute befindet. Das Herrenhaus ist heute das viertgrößte Hausmuseum der USA.
Danach kann ich mich auf eigene Faust im Garten umsehen. Hier sehe ich schon ein paar Vorbereitungen für die Feier am Abend. Noch sind aber keine Gäste da. Feiern beginnen erst nach der Schließung des Hauses für Besucher.
Meadow Brook Hall hat mir sehr gut gefallen, doch nun ist es Zeit weiterzufahren. Normalerweise hatte ich geplant, gleich ins Hotel zu fahren, doch das Wetter ist einfach zu schön, sodass ich das noch ein wenig genießen will. Oft wird man ja eher schief angesehen, wenn man sagt, man fahre nach Detroit. Da gäbe es doch nichts zu sehen, nur eine verfallene Stadt. Dass dem nicht so ist, haben mir inzwischen drei Besuche bewiesen. Allein die Ford Häuser und Museen sind einfach fantastisch, doch es gibt so viel mehr zu entdecken. So bin ich auf die Belle Isle gestoßen. Eigentlich nur, weil ich die Insel mitten im Detroit River mal anschauen wollte – aus reiner Neugier.
Nachdem ich über die MacArthur Bridge auf die Insel gefahren bin, erreiche ich zuerst das 1908 erbaute Casino. Hier wurde aber nie Glücksspiel angeboten, sondern das Gebäude verfolgte eher den ursprünglichen Ansatz eines Casinos als Begegnungsstätte und für Entertainment.
Nur wenige Schritte weiter sehe ich die Staue von James Scott. Wer diesen Namen jetzt noch nie gehört hat und nicht weiß, wer dieser Herr war, der befindet sich in guter Gesellschaft, denn eigentlich war Scott niemand besonderes, ja er soll sogar zuweilen ein recht unangenehmer Zeitgenosse gewesen sein. Und so kam es, dass Scott, als er sein Testament machte erkannte, dass er eigentlich niemanden hatte, dem er sein Vermögen vermachen konnte. Erbe wurde dadurch die Stadt Detroit, die ursprünglich 200.000 Dollar erhalten sollte, mit der Auflage, einen Brunnen und eine Statue von Scott zu errichten. Doch es war umstritten, ob man das Geld von einem Bürger mit recht zweifelhaftem Ruf annehmen sollte. Als man sich schließlich dazu entschied, war das Vermögen auf über eine Million Dollar angewachsen. Und so bekam Scott postum seine Statue, doch nicht nur das.
Viel gewaltiger und imposanter ist die James Scott Memorial Fountain, die ganze 500.000 Dollar an Baukosten verschlungen hat. 160 Meter im Durchmesser und ganze 38 Meter hoch ist sie, komplett aus Marmor, entworfen vom Architekten Cass Gilbert und geschaffen vom Bildhauer Herbert Adams.
Der Brunnen ist aber nur eines von vielen Monumenten auf der Belle Isle, die als Kronjuwel der Stadtparks von Detroit bezeichnet wird. Leider ist auch hier der Abstieg von Detroit nicht spurlos vorbeigegangen, denn es fehlten einfach die öffentlichen Gelder, den Park, in dem sich auch der Zoo und Amerikas ältestes Aquarium befinden, zu finanzieren. Mitte der 2000er Jahre sah es ganz düster aus, da wurden Zoo und Aquarium sogar geschlossen. Doch die Bürger werten sich und verlangten, dass ihr schönster Stadtpark nicht schließen dürfe und so sprang der Staat Michigan ein, der die Belle Isle seit 2013 als State Park verwaltet. Seitdem ist die Insel nun wieder voller Leben, wie an diesem Sonntagnachmittag.
Ich fahre auf der Parkstraße weiter, die sich einmal rund um die Insel windet. Auf den Wiesen tummeln sich die Menschen, sie picknicken, Kinder spielen im Gras und auf dem See sind kleine Boote unterwegs. Durch die Bäume entdecke ich einen Turm, den Nany Brown Peace Carillon Tower.
Während der Turm zu meiner Linken zu sehen ist, befindet sich zu meiner Rechten die Fahrrinne des Detroit River, einem wichtigen Verbindungsweg zwischen den Großen Seen. Immer wieder kann ich Frachtschiffe sehen, die Seen zeigen mal wieder, dass sie doch eher Binnenmeere sind.
Und auch die allgegenwärtigen Kanadagänse dürfen nicht fehlen. Im Herbst sind sie einfach überall rund um die Großen Seen zu finden.
Der Blick über das Wasser gibt immer wieder den Blick auf die Küste Kanadas frei. Im Gegensatz zu Detroit gibt es hier viele teurer Appartements, denn was in den USA eine der kältesten Regionen im Norden ist, ist für die Kanadier eine der wärmsten. Das habe ich schon auf meiner Tour 2016 an den St. Lorenz Strom gelernt. So ist das Land in Kanada locker fünf bis zehn Mal so viel wert, allein weil dieses Gebiet für Kanada ein sehr mildes Klima aufweist.
An der Nordspitze angekommen, stelle ich mein Auto wieder ab, denn ich möchte den rund zwei Meilen langen Trail zum Belle Isle Lighthouse und entlang der Blue Heron Lagoon laufen. Das William Livingston Memorial Lighthouse wurde nach dem von 1902–1925 amtierenden Präsidenten der Lake Carriers’ Association benannt. Livingston überzeugte die Regierung unter anderem zum Bau der größten Schleuse in Sault St. Marie und ließ verschiedene Wasserstraßen vertiefen und begradigen.
Der Leuchtturm besteht komplett aus Marmor und kostete damals 100.000 Dollar, die von der Lake Carriers’ Association sowie aus Spenden zusammengetragen wurden. Da der Turm mehrere Male von Vandalen heimgesucht und beschädigt wurde, ist das Gelände leider eingezäunt und ich komme nicht näher heran.
Ich laufe noch ein Stück weiter an der Blue Heron Lagoon entlang und kann nun auf das andere Ufer des Detroit River schauen. Hier geht es nicht so idyllisch zu, denn zu sehen sind Schornsteine und Fabrikanlagen, genauer gesagt die eines der Chrysler Werke in Detroit.
Da wende ich meinen Blick doch lieber nach Norden, wo der Detroit River auf den St. Clair Lake trifft.
Die Zeit rennt mal wieder viel zu schnell und da mein Besuch auf den frühen Abend fällt, kann ich natürlich nichts mehr von innen besichtigen. Doch einen Stopp will ich noch machen und er führt mich in den historischen Distrikt. Hier liegt die Inselruhe Avenue. Warum die Straße so heißt, kann ich nicht herausfinden, wohl aber, dass hier das Herz der Insel schlägt.
Eines der Häuser hier ist das 1871 erbaute White House das einst, wie die ganze Insel, einer Familie Willis gehörte. Heute ist hier die Parkverwaltung untergebracht, sodass das Haus nur von außen besichtigt werden kann.
Eines der größten Gebäude der Insel ist das Belle Isle Conservatory, ein Gewächshaus mit botanischem Garten. 1904 eröffnet, ist es das am längsten durchgängig geöffnete Gewächshaus der USA und wurde 1955 nach Anna Scribbs benannt, die ihm ihre 600 Pflanzen umfassende Orchideensammlung vermachte.
Ein weiteres historisches Gebäude ist die 1893 erbaute Polizeistation, die noch heute in Betrieb ist. Und dieses Haus hat noch eine weitere Geschichte zu bieten, denn von hier wurden zum ersten Mal in den USA Polizeiwagen mit Funk losgeschickt, die dann mit dem Hauptquartier Kontakt halten konnten.
Auf meinem Weg zum Hotel entscheide ich mich, durch eines der Gebiete von Detroit zu fahren, in dem man den Verfall der Stadt am deutlichsten sieht. Von einst über zwei Millionen Einwohnern ist Motown, wie Detroit liebevoll genannt wird, auf inzwischen 673.000 Einwohner geschrumpft. Das lange währende einseitige Vertrauen auf die Automobilindustrie ein Fehler gewesen, den die Stadt nun bitter bezahlt. Zu sehen ist das auch hier, an der alten Packard Fabrik.
Sechzehn Hektar Land und 325.000 Quadratmeter Gebäudefläche umfasst das Fabrikgelände, auf dem zwischen 1903 und 1958 luxuriöse Automobile von Packard hergestellt wurden. Vom berühmten Architekten Albert Kahn entworfen, war die Fabrik einst die modernste der Welt. Noch bis in 1990 Jahre wurden weite Teile genutzt, doch dann verfiel sie immer mehr. Auch wenn in den letzten Jahren einige Renovierungen geplant wurden, war ein weiterer trauriger Höhepunkt des Verfalls erst am 23. Januar 2019 zu beklagen. Die berühmte Fußgängerbrücke, die auch auf meinem Bild noch zu sehen ist, stürzte an diesem Tag in sich zusammen.
Schon 2013 wurde die gesamte Fabrik vom Investor Fernando Palazuelo gekauft, der hier ein gigantisches Projekt verwirklichen will. Viel ist aber bisher nicht passiert, bis auf einen ersten Spatenstich im Jahr 2017. Ob und wie sich das fast 500 Millionen Dollar teure Projekt weiter entwickelt, das wird wohl nur die Zukunft zeigen.
Als Hotel habe ich heute das Residence Inn Livonia gebucht, das ganz in der Nähe des Marriott Hotels liegt, in dem ich vor zwei Tagen genächtigt habe. Hier bekomme ich eine schöne Studio Suite, in der ich mich sehr wohl fühle.
Ich fahre noch kurz in einen Supermarkt, um mir ein paar Lebensmittel zu besorgen, bevor ich mir einen gemütlichen Abend in meiner Suite mache.
Meilen: 266
Wetter: Schauer, später sonnig, 59–80 Grad
Hotel: Residence Inn Livonia