Tag 5: Samstag, 02. September 2017
History comes to life – Detroit nach London
“I am braver than I was because I have lost all; and he who has nothing to lose can afford all risks.” – Harriet Beecher Stowe, Uncle Tom’s Cabin
Die Reste von Hurrikan Harvey scheinen sich nun endgültig aufgelöst zu haben, denn als ich heute Morgen aus dem Fenster schaue, scheint die Sonne wieder vom knallblauen Himmel und es ist absolut windstill. Während auf dem Fernseher die Zerstörungen in Texas zu sehen sind, hat sich hier das Wetter wieder beruhigt und auch keine Schäden angerichtet.
Ich frühstücke noch schnell im Hotel, bevor ich meine Sachen packe und mich auf den Weg mache. Heute will ich schnell mal das Land verlassen. So geht es auf dem Interstate direkt in Richtung Grenze. Die passiere ich allerdings auf recht ungewöhnliche Art, nämlich unter Wasser, während ich den Detroit Windsor Tunnel passiere.
Auf der anderen Seite angekommen, bin ich dann schon in Kanada, doch noch muss ich zur Einreise. Direkt hinter der Tunnelausfahrt fahre ich um eine scharfe Kurve und erreiche den Grenzposten. Hier werde ich von einer Grenzerin begrüßt und die Einreiseformalitäten erledigt. Als sie sieht, dass ich aus Deutschland komme, beginnt sie mich plötzlich über Reisetipps auszufragen, denn sie will in wenigen Wochen nach Europa fliegen. Hinter mir wird indes die Autoschlange immer länger, aber die Dame stört das gar nicht und sie fragt munter weiter. Erst einige Minuten später wünscht sie mir einen schönen Aufenthalt und lässt mich weiterfahren.
In Windsor, der kanadischen Stadt, die sich auf der anderen Seite des Detroit River befindet, fahre ich zuerst in die Dieppe Gardens. Von hier soll man einen schönen Blick auf die Skyline von Detroit haben. Und ich werde nicht enttäuscht, denn schon vom Parkplatz ist die Aussicht fantastisch.
Ich entschließe mich, ein wenig an der Uferpromenade entlangzulaufen. Der Park ist sehr schön angelegt und das Wetter passt auch.
Im Park befindet sich die „City of Windsor”, eine Dampflokomotive, die im Jahr 1911 gebaut wurde und bis 1961 in Ontario im Einsatz war. Seit 1965 steht sie schon hier in Windsor und erinnert an das goldene Zeitalter des Zugverkehrs in Kanada.
Am Ufer entdecke ich diese alte Verladestation für Schiffe, die aber schon lange nicht mehr in Betrieb ist. Industrie und Hafen liegen heute außerhalb der Innenstadt.
Und immer wieder schweift mein Blick hinüber ans andere Ufer, dort wo sich die Skyline von Detroit in den Himmel erhebt. Diesmal habe ich wirklich Glück mit dem Wetter. Als ich 2011 zum letzten Mal hier war, versankt die Stadt im Nebel.
Von den Dieppe Gardens gelange ich schließlich zum Centennial und zum Ambassador Park von wo ich einen fantastischen Blick auf die Ambassador Bridge habe, die neben dem Tunnel die Städte Detroit und Windsor verbindet.
Die 2300 Meter lange Hängebrücke ist die geschäftigste Grenzverbindung in ganz Nordamerika. Ganze 25 Prozent des Handels zwischen den beiden Ländern passieren diesen Grenzübergang. Und was da so los ist, das werde ich morgen noch erleben. Den Tunnel zu nutzen, ist dagegen geradezu gemütlich.
Die Mautbrücke ist auch die einzige Grenzverbindung in privater Hand. Sie gehört heute, genauso wie die Duty Free Läden an beiden Enden, dem Millionär Manuel Moroun, der in Grosse Pointe, Michigan lebt. Als die vorherigen Besitzer die Brücke an die Börse brachten, begann er Aktien aufzukaufen und konnte das Bauwerk so übernehmen. Und das scheint sich für ihn zu rentieren, wenn man das Verkehrsvolumen so betrachtet.
Rund um den Brückenkopf auf kanadischer Seite befindet sich der Ambassador Park, in dem zwei große Fahnen zu finden sind.
Ein Teil des Parks wurde zum Windsor Sculpure Park umgestaltet, in dem nun Kunstwerke vieler verschiedener Künstler zu finden sind. Als erstes entdecke ich das Werk „King and Queen” des Kanadiers Sorel Etrog.
Ebenfalls am Ufer steht das Werk „Consolation” des Kanadiers Joe Rosenthal, der 1921 in Rumänien geboren wurde und bereits als Kind nach Kanada kam.
Das Flussufer ist auch ein beliebter Rastplatz für Zugvögel. Wie vielerorts an den Großen Seen finde ich auch hier Kanadagänse.
Auf einer angrenzenden Rasenfläche entdecke ich das Werk „Flying Men” von Dame Elisabeth Frink. Die Britin wird als eine der herausragenden Frauen des 20. Jahrhunderts betitelt und zu ihren bekanntesten Werken zählen „Man in a Horse” am Picadilly Circus in London sowie das Kennedy Memorial in Dallas, Texas.
Das mit Abstand auffälligste Werk aber ist wohl „Eve’s Apple” von Edwina Sandys.
Langsam muss ich mich aber auf den Weg machen, denn ich habe heute mal wieder viel vor. Ein letzter Blick noch zurück auf den Park und den Detroit River und dann gehe ich endgültig zurück zum Auto.
Von Windsor fahre ich nach Süden und erreiche nach einer knappen Stunde Amherstburg. Der kleine Städtchen ist hübsch geschmückt und an den Laternen sieht man, dass auch Kanada in 2017 feiert, das Land wird 150 Jahre alt.
Mein Ziel ist die Fort Malden National Historic Site of Canada, ein 1795 von den Briten errichtetes Fort, das die britische Kolonie Kanada vor einer möglichen amerikanischen Invasion schützen sollte.
Gleich hinter dem Tor befindet sich ein kleiner Parkplatz, wo ich mein Auto abstelle. Zu Fuß geht es weiter zum Visitor Center, das, anders als in den USA üblich, auch vierbeinigen Begleitern offen steht.
Im Besucherzentrum zahle ich mein Eintrittsgeld und schaue mir die kleine Ausstellung zur Geschichte des Forts an, die die einstige Anlage auch als Modell zeigt.
Durch die Hintertür geht es dann hinaus zum Fort, das seit 1935 ein Museum ist. Davor wurde es anderweitig genutzt, sodass nicht alle Gebäude und Anlagen erhalten sind.
Ein kleines Holzhaus am Rande des Forts zeigt, wie die Offiziere damals hier lebten. In einem Raum wohnte die ganze Familie, aber für viele Siedler wäre eine solche Unterkunft purer Luxus gewesen.
Fort Malden liegt direkt am Ufer des Detroit River und so habe ich immer wieder schöne Ausblicke auf den Grenzfluss zwischen den Kanada und den USA.
Im Herzen der Anlage liegt der Exerzierplatz, auf dem heute von Freiwilligen eine kleine Vorführung gegeben wird. In historischen Uniformen zeigen sie eine Schießübung mit der Muskete.
Das größte erhaltene Gebäude innerhalb des Forts ist Hough House. Das elegante Haus im Kolonialstil passt gar nicht so recht in ein Fort. In den 1980ziger Jahren wurde es umfassend renoviert und zeigt heute eine Ausstellung zum Leben im Fort.
Gegenüber von Hough House befindet sich dieses einstöckige Gebäude, das eine der Unterkünfte für die Soldaten war. Ebenfalls restauriert, gibt es einen kleinen Einblick in das Leben der Soldaten. In den Räumen stehen kostümierte Freiwillige, die bereitwillig Fragen beantworten.
Ich fahre weiter ins Landesinnere. Doch wenn ich die Schilder lese, dann fühle ich mich eher wie in Europa. Da gibt es nicht nur Dresden, mein nächstes Ziel, sondern auch Kent, Blenheim oder Chatham, Orte die ich aus England kenne.
Schließlich erreiche ich das kleine Örtchen Dresden. Viel mehr als ein paar Häuser gibt es hier nicht, doch ein Haus ist weltberühmt und genau das will auch ich mir anschauen.
Dresden selbst wäre wahrscheinlich nur ein weiteres verschlafenes Nest in diesem Teil von Ontario, wäre da nicht Josiah Henson, ein früherer amerikanischer Sklave, der sich hier angesiedelt hat. Seine Lebensgeschichte war es, die Harriet Beecher Stowe zu ihrem weltberühmten Buch „Onkel Toms Hütte” inspiriert haben soll. Hensons Wohnhaus ist heute ein Museum.
Bevor ich zum historischen Haus komme, geht es aber erst einmal in das Josiah Henson Interpretive Centre, ein Besucherzentrum mit angeschlossenem Museum.
Hier wird die Geschichte von Josiah Henson erzählt und ein wenig aus seiner Biografie erzählt.
In einer Vitrine stehen dann unzählige Exemplare des Bestsellers Onkel Toms Hütte. Das Buch wurde in Dutzende Sprachen übersetzt und so finde ich auch ein deutschen Exemplar.
Dem Museum angeschlossen ist ein kleines Freilichtmuseum, das sich auf einem Teil des Dawn Settlement befindet. Dieses Land wurde 1841 gekauft, um für geflohene Sklaven eine neue Heimat zu schaffen.
Das erste Haus, das ich sehe, ist das Harris House, in dem eine kleine Ausstellung zeigt, wie die Menschen hier lebten und welchen Berufen sie nachgingen.
Ein weiteres Gebäude ist diese kleine Kirche, deren Einrichtung teilweise aus der Kirche in Dresden kommt, in der Reverend Josiah Henson einst seine Predigten hielt.
Herzstück aber ist natürlich das Wohnhaus von Josiah Henson, das 1940 an diesen Ort versetzt wurde, um hier das Museum zu gründen. Henson bewohnte das Haus von 1841 bis zu seinem Tod im Jahr 1883.
Hinter der Kirche befindet sich noch ein kleiner Friedhof, auf dem nicht nur Henson, sondern auch viele andere Siedler des Dawn Settlement ihre letzte Ruhe fanden.
Über kleine, ländliche Straßen geht meine Fahrt nun weiter. Hier ist heute kaum Verkehr, doch das war einst anders, denn in diesem Gebiet schlug vor rund 150 Jahren das Herz der kanadischen Ölproduktion.
Und deren Geschichte wird im Oil Museum of Canada wieder lebendig. Hier an diesem Ort suchte James Miller Williams im September 1858 nach Wasser und stieß auf Öl. Die erste Ölförderung in ganz Nordamerika startete und das kleine Örtchen Oil Springs entstand.
Im Museum will ich dann meinen Eintritt mit Karte zahlen, denn ich habe nur wenige kanadische Dollar von einer früheren Reise dabei und bin noch nicht zu einem Geldautomaten gekommen. Was die Dame da aber aus ihrem Schreibtisch zieht, lässt mich dann doch etwas nostalgisch werden. Das Kreditkartengerät ist ja fast schon selbst ein Ausstellungsstück für das Museum. Funktionieren aber tut es und das wohl selbst bei Stromausfall, was man von modernen Kassen ja eher nicht behaupten kann.
Dann starte ich meinen Rundgang durch das Museum, in dem viele Stücke aus der Zeit des Ölboom im südlichen Kanada zusammengetragen wurden.
Neben dem Museum gibt es eine große Outdoor Ausstellung mit knapp 20 Stationen, an denen die kommerzielle Ölförderung erklärt wird. Nachdem ich bereits in Texas und Oklahoma einige Museum besucht habe, fand ich es interessant zu sehen, wie hier Öl schon rund 50 Jahre früher gefördert wurde.
Nach dem Museumsbesuch führt mich mein Weg zuerst wieder über ländliche Straßen, die teilweise nicht einmal komplett asphaltiert sind.
Nach einer Weil erreiche ich dann aber doch die Autobahn und fahre weiter Richtung London. Leider zieht sich unterwegs der Himmel komplett zu und die Sonne verschwindet hinter einer undurchdringlichen Wolkendecke. Am Nachmittag erreiche ich London und fahre direkt zum Banting House. Hier war ich bereits 2011 schon einmal, doch damals hatte das Museum geschlossen, sodass ich heute unbedingt hinein will.
Sir Frederick Banting lebte in diesem als er am 31. Oktober 1920 um zwei Uhr morgens mit einer Idee aufwachte, die schließlich zur Entdeckung des Insulin führte. Deshalb ist das Haus heute ein Museum und als „Birthplace of Insulin” bekannt.
Nur leider wird mir mein Wunsch das Museum anzuschauen, auch dieses Mal nicht erfüllt. Als ich an der Tür ankomme, verwehrt mir eine resolute Dame den Eintritt und sagt, es sei heute schon geschlossen. Man würde mindestens eine Stunde brauchen und deshalb würde sie niemanden mehr einlassen. Alles reden und erklären hilft nichts, auch als eine Familie aus Japan noch dazu kommt, lässt sie sich nicht erbarmen, obwohl wir extra so weit gereist sind. Das Problem ist, ich kann nicht mal morgen wiederkommen, denn das Museum hat nur Dienstag bis Samstag geöffnet und somit die nächsten zwei Tage zu. So ziehe ich enttäuscht ab und schaue mich etwas lustlos noch kurz bei der ewigen Flamme um, die erst erlöschen soll, wenn Diabetes heilbar ist.
Da es erst Nachmittag ist, mag ich noch nicht ins Hotel fahren und schaue auf meinen Plan, was ich in London noch besichtigen kann. Ich fahre in die Innenstadt, die absolut trostlos ist, so wie nordamerikanische Städte in den 90ziger Jahren waren, bevor man vielerorts wieder Leben nach Downtown gebracht hat. Hier aber herrscht nach Büroschluss und an Wochenenden Totentanz.
Am Rande der Innenstadt gibt es jedoch das Eldon House und hier werde ich auch viel freundlicher empfangen. Natürlich könne ich hinein kommen und mich nach Herzenslust umsehen. Na also, geht doch.
Eldon House wurde 1834 von Captain John Eldon erbaut und ist das älteste Wohnhaus in London. Bennat wurde es nach dem Earl of Eldon, den Joh Harris bewunderte. Bis 1959 lebten seine Nachfahren hier, bevor sie das Haus der Stadt als Museum schenkten. Leider wurde es bei meinem Besuch gerade von außen renoviert, sodass es nicht sehr gut zum fotografieren eignete.
Die Familie Harris war eine der bekanntesten Familien der Stadt und viel Mitglieder hielten wichtige Positionen. Das Haus selbst wurde zum Zentrum der Oberschicht der Stadt und während den 125 Jahren, in denen die Harris Familie hier lebte, sammelte sich so einiges an, was heute noch im Haus zu sehen ist.
Nicht nur die Möbel sind original, auch die zahlreichen kleinen und großen Dinge, die überall im Haus verstreut sind, gehörten der Familie, So gibt es Trophäen von der Großwildjagd in Afrika, Fische vom Angeln im Ozean und Mitbringsel von reisen um die Welt.
Ich bleibe bis zur Schließzeit im Haus und schaue mir die vielen faszinierenden Zimmer an. Dann verlasse ich Downtown und fahre an den Stadtrand, wo sich die Shopping Malls, Fast Food Läden und Kettenhotels aneinander reihen. Da Kanada nicht immer ganz billig und gerade auch noch Feiertagswochenende ist, habe ich das Towne Place Suites über Marriott Rewards Punkte gebucht. Ich bekomme ein nettes Studio mit voll eingerichteter Küche, die ich aber diesmal nicht benötige.
Zum Abendessen gehe ich in die angrenzende Mall und suche nach einem Stand, wo es Poutine gibt. Das kanadische Nationalgericht habe ich während meiner Reise nach Quebec kennen und lieben gelernt. Doch außerhalb von Kanada gibt es Poutine sehr selten und fast immer schmeckt es nicht genauso. Bei der Fry Society jedoch ist die Poutine wieder super lecker.
Zum Nachtisch gibt es noch einen leckeren Frozen Yogurt bei Menchies, die ich aus den USA kenne.
Meilen: 228
Wetter: sonnig, später Schauer, 55–70 Grad
Hotel: Towne Place Suites