Tag 9 – Samstag, 02. Juni 2018
Ups and Downs – Milton Keynes nach Bracknell
„Tearing down an old house and building a new one is the most wasteful thing we do as humans.” – Grace Potter
Rund um Milton Keynes ist es heute Morgen trübe, so breche ich recht zügig auf, denn der Wetterbericht verspricht etwas weiter südlich besseres Wetter. Meine Liste von Orten, die ich noch besuchen will, ist sowieso in jeder Region noch immer lang, sodass es keinen Unterschied macht, wo ich mir heute etwas anschaue.
Und tatsächlich, als ich die M25, den Autobahnring rund um London, erreiche, reißen die Wolken immer mehr auf. So fahre ich zu den Houghton Lodge Gardens. Als ich auf den Parkplatz einbiege, wähne ich mich fast auf einer Oldtimer-Ausstellung, so viele alte Wagen parken hier. Sie sind anscheinend auf einem Ausflug und die Besitzer besuchen ebenfalls den Garten.
So drehe ich, statt zum Garten zu gehen, erst einmal eine Runde über den Parkplatz und schaue mir die Schmuckstücke an.
Dann gehe ich aber doch weiter zum Garteneingang. Zutritt gewährt mir hier meine HHA-Mitgliedschaft. Houghton Lodge wurde einst für die Familie Pitt-Rivers erbaut, gehört aber seit 1910 der Familie Busk, die ihren Garten regelmäßig für Besucher öffnet.
Und so begebe ich mich auf eine kleine Entdeckungsreise über das rund fünf Hektar große Anwesen. Es gibt einen Walled Garden sowie verschiedene Themenbereiche, die von Nutz- bis hin zu Zierpflanzen reichen.
Zum Schluss gelange ich zum Haus, der Houghton Lodge. Einst als Anglerhütte erbaut, ist für das Design wahrscheinlich der berühmte Baumeister John Nash verantwortlich. Ganz genau bewiesen ist es nicht, doch hat er mehrere Häuser in diesem Stil entworfen. Leider ist das Haus nicht von innen zu besichtigen, sodass ich nur einen Blick auf die Fassade werfen kann.
Als ich nun überlege, was ich noch machen kann, fällt mir ein, dass ich ja immer nochmal nach Durlston wollte. Vorherige Besuche fielen wegen schlechtem Wetter ins Wasser und heute ist ja toller Sonnenschein. So fahre ich einfach auf die Autobahn und bis an die Küste des Ärmelkanals. Ich parke mein Auto und laufe den kurzen Weg bis zum Durlston Castle.
Durlston Castle liegt direkt an der Küste, in einem Gebiet, in dem früher verschiedene Gesteinsarten abgebaut wurden. Einer der Männer, die dadurch ein beachtliches Vermögen verdienten, war George Burt. Er wollte das Gebiet zu einem Erholungsort ausbauen und ließ deshalb 1887 ein kleines Schloss errichten.
Im Gebäude war schon früher ein Restaurant und seit der umfassenden Sanierung im Jahr 2011 kann man hier auch wieder speisen. Außerdem gibt es ein Besucherzentrum mit Informationen zur Jurassic Coast. Über eine schmiedeeiserne Treppe führt mich der Weg auf das Dach des Gebäudes.
Von hier hat man einen tollen Blick über den Ärmelkanal und die Küste – na ja fast, denn so schön sonnig es heute auch ist, über dem Wasser hält sich eine dicke Nebelsuppe.
In einer Seitenwand von Durlston Castle ließ Burt eine Sonnenuhr sowie zwei Tafeln anbringen. Auf diesen sind verschiedene Statistiken zum Jahresverlauf und den Gezeiten zu lesen.
Am berühmtesten ist aber wohl der große, steinerne Globus, den Geroge Burt errichten ließ. Er ist vierzig Tonnen schwer und hat einen Durchmesser von drei Metern. Die eingravierte Weltkarte zeigt den Kenntnisstand von 1880.
Zum Globus gelangt man übrigens über Treppen, die vom Schloss die Klippe hinunterführen. Und diesen Treppen folge ich nun noch weiter bis zu einem schönen Aussichtspunkt über die Küste.
Nur habe ich von der tollen Aussicht nicht lange etwas, denn plötzlich dreht der Wind und der Nebel zieht immer weiter Richtung Küste. Das ist fast wie in einem Theater, wenn der Vorhang fällt und so den Blick auf die Bühne verhindert.
Hier am Durlston Castle ist es aber noch sonnig und so laufe ich noch ein Stück weiter nach unten.
An dieser Stelle starten einige Wanderwege, die entlang der Klippe angelegt wurden. Doch weit komme ich leider nicht, ohne wieder auf den Nebel zu treffen.
Umso weiter ich laufe, desto dichter wird der Nebel. Vom Anvil Point Lighthouse auf der nächsten Klippe ist kaum noch etwas zu sehen. So drehe ich um, denn der Nebel sorgt auch für fallende Temperaturen und es fröstelt mich schon.
Auf meinem Rückweg zum Parkplatz komme ich noch an den Tilly Whim Caves vorbei. Sie sind alte Kalksteinbrüche, in denen der Purbeck Stone unterirdisch abgebaut wurde. Der Abbau wurde jedoch bereits 1810 eingestellt.
Im Jahr 1887 öffnete George Burt die Höhlen als Touristenattraktion und das blieben sie bis 1976, als sie wegen Steinschlaggefahr für immer geschlossen wurden.
Das letzte Stück vom Weg zum Parkplatz ist dann wieder sonniger. Schon interessant, wie der Nebel Teile der Küste verschlingt und andere ausspart.
Es ist schon fortgeschrittener Nachmittag, als ich wieder am Auto bin. Doch da sich Corfe Castle ganz in der Nähe befindet, beschließe ich der Burgruine noch einen Besuch abzustatten.
Corfe Castle ist eine Burgruine, deren Ursprung bereits auf das 9. Jahrhundert zurückgeht, als unter König Alfred dem Großen Befestigungsanlagen zum Schutz gegen die Dänen errichtet wurden. Das Wort Corfe stammt aus dem angelsächsischen und bedeutet so viel wie Tal. Und Corfe Castle liegt in einem Tal der Purbeck Hills.
Seit 1982 gehört Corfe Castle dem National Trust, der die Burgruine für Besucher öffnet. Zuvor hatte sie eine wechselvolle Geschichte. Nachdem die Normannen England erobert hatten, bauten sie die Burg ab 1090 großflächig aus. Große Bedeutung erreichte Corfe Castle unter König John Lackland, der 1199 bis 1216 regierte und sich hier oft aufhielt. Sogar die Kronjuwelen wurden seinerzeit auf der Burg aufbewahrt.
Wenn man am Torhaus steht, erkennt man erst die schiere Größe der Burganlage und wie gewaltig das Ensemble auf die Menschen früher erst gewirkt haben muss, als viele nicht mehr als eine simple Hütte besaßen.
Ich folge dem Weg über den Burghof, wo heute einige Zelte aufgebaut sind und Vorführungen stattfinden, die zeigen, wie das Leben zu jener Zeit in der Burganlage ausgesehen hat.
Schon von hier reicht der Blick weit über das Land. Und ganz hinten am Horizont kann ich sogar die Nebelschwaden erkennen, die mich vorhin an der Küste geärgert haben. Bis nach Corfe kommen sie aber heute zum Glück nicht.
Ich folge dem Weg und dringe immer weiter in das Herz der Burganlage vor. Im Mittelalter diente die Burg auch immer wieder als Gefängnis und auf ihr wurden sowohl Kriegsgefangene als auch Adlige festgehalten, die Anspruch auf den englischen Thron stellten.
Schon im 14. Jahrhundert wurde die Burg zum ersten Mal vernachlässigt, dann jedoch wieder instand gesetzt und von Heinrich VII. schließlich für seine Mutter Margaret Beauford als Residenz ausgebaut. Nach deren Tod fiel das Bauwerk zurück an die Krone und Elisabeth I. verkaufte Corfe Castle 1572 an ihren späteren Lordkanzler Christopher Hatton.
Ich aber klettere immer weiter den Hügel hinauf zum Keep, dem Wohnturm und Herzstück einer jeden Burg. Am Fuße der Burg liegt das Dörfchen Corfe, das ich später noch besichtigen werde.
Teile der Burg sind noch richtig gut erhalten und man kann sich das Leben hier schon irgendwie vorstellen. An anderen Stellen sind nur noch undefinierbare Klumpen übrig, deren Bedeutung ich ohne die Broschüre, die ich am Eingang bekommen habe, nie erraten würde.
Es war wirklich keine schlechte Idee, so spät am Nachmittag zu kommen. Zwar habe ich nun nicht mehr endlos Zeit, dafür sind aber auch nicht mehr so viele Menschen hier. Die meisten Leute waren schon auf dem Rückweg, als ich mein Auto geparkt habe.
Plötzlich höre ich ein Schnaufen und Tuten aus dem Tal unter der Burg und als ich genauer hinsehe, fährt dort eine Dampfeisenbahn vorbei. Die Swanage Railway wurde ursprünglich 1885 eröffnet und führte damals sogar nach London.
Aber zurück zur Burg, denn die wurde 1635 noch ein letztes Mal verkauft, und zwar an John Banks. Nur wenige Jahre später, genauer gesagt 1643, wurde Corfe Castle im englischen Bürgerkrieg von Parlamentariern belagert, doch Royalistin und Hausherrin Lady Mary Banks hielt der Belagerung sechs Wochen stand, bis die Parlamentarier abzogen.
Drei Jahre später kam es zu einer weiteren Belagerung, die diesmal nicht so glücklich ausging. Die Familie wurde verraten und Corfe Castle so eingenommen. Der Familie Banks wurde allerdings erlaubt, die Burg zu verlassen, bevor sie mit Sprengstoff zerstört wurde.
Nach dem Krieg kehrte die Familie nicht mehr auf die Burg zurück, sondern Ralph Bank ließ Kingston Lacy, ein Herrenhaus in der Nähe, erbauen. Trotzdem blieb Corfe Castle bis 1982 im Besitz der Familie Banks. Nicht nur die Burg, sondern auch Kingston Lacy fiel damals an den National Trust, da der letzte Erbe kinderlos verstarb.
Endlich bin ich ganz oben angekommen, jedenfalls so hoch wie man heute noch kommt. Die Gebäude sind ja leider nur noch Ruinen und können nicht mehr betreten werden. Von hier habe ich nun einen schönen Blick auf den Zugang zur inneren Burganlage.
Dann laufe ich noch ein bisschen durch die Überreste des Keeps und schaue mir alles ausführlich an.
Plötzlich schnauft und tutet es wieder, die Dampflok kommt diesmal aus der anderen Richtung und fährt dekorativ durch mein Bild. Dabei sehe ich eine Reihe Menschen auf dem Feld an den Gleisen stehen, die Fotos machen. So nehme ich mir vor, dort später auch nochmal hinzugehen.
Erst einmal klettere ich jedoch vom Keep wieder hinunter in den Burghof und schaue mich hier noch ein wenig um. Auf einer Tafel wird die Geschichte des Verräters erzählt, der die Burg in das Verderben stürzte und durch seine Tat für ihr heutiges Aussehen sorgte.
Schließlich bin ich zurück im Dorf, das im Prinzip aus zwei Hauptstraßen besteht, die sich am Marktplatz kreuzen. Viele der Häuser wurden aus dem in der Nähe abgebauten Purbeck Stein gebaut und einige der Türrahmen sogar aus Steinen von Corfe Castle, die die Einwohner nach der Sprengung einsammelten.
Die Kirche St. Edward wurde nach König Edward dem Märtyrer benannt, der am 18. März 978 auf Corfe Castle ermordet wurde. Ursprünglich im 13. Jahrhundert erbaut, konnte von der Kirche aber nur der Turm erhalten werden. Der Rest des Gebäudes wurde 1859–60 neu gebaut.
Ich laufe noch ein wenig weiter durch den schönen kleinen Ort, der so typisch für englische Dörfer ist. Rund 1.500 Einwohner leben heute noch hier, doch so abgeschieden wie früher ist es nicht, denn jedes Jahr besuchen mehr als 150.000 Menschen Corfe Castle und sorgen so für regen Betrieb.
Abschließend laufe ich noch zu jenem Feld, auf dem ich vorhin die Fotografen stehen sah, die den Zug fotografierten. Und ich muss auch gar nicht lange warten, bis die Dampflok angefahren kommt. Der Personenverkehr auf der Strecke endete eigentlich schon 1972, doch Bahnfreunden gelang es, diesen Teil der Strecke wieder aufzubauen und den Museumszug zu betreiben.
Nun wird es aber Zeit, sich von Corfe Castle zu verabschieden. Ich fahre in Richtung Poole und habe unterwegs einen tollen Blick über die Gegend.
Am Shell Bay Terminal der Bournemouth und Swanage Ferry muss ich halten und meine Gebühr für die Überfahrt entrichten.
Dann heißt es noch kurz warten, denn die Fähre ist gerade abgefahren.
So steige ich noch ein paar Minuten aus dem Auto und laufe hinüber zum Strand.
Nach knapp zwanzig Minuten kann ich dann in Richtung Bournemouth übersetzen.
Durch Bournemouth läuft die Fahrt etwas zäh. Eigentlich hatte ich überlegt, hier zu übernachten, doch die Preise am Wochenende sind einfach astronomisch hoch. So fahre ich eben weiter und hinter Bournemouth zuerst auf die Schnellstraße, dann auf die Autobahn Richtung London.
Da die Tage im Sommer lang sind, ist es noch immer hell, als ich gegen halb neun Bracknell und das dortige Hilton Hotel erreiche. Zwar ist das Hotel nicht gerade mein Favorit, aber für diese Nacht war es eine günstige Option und so habe ich es gebucht.
Abendessen gibt es heute nur aus dem Sainsbury Supermarkt, der praktischerweise gleich gegenüber liegt. Aber da es dort immer leckere Sachen gibt, ist das nicht weiter schlimm und ich mache es mir nach einem langen Tag noch ein wenig auf meinem Zimmer bequem.
Meilen: 264
Wetter: bewölkt, später sonnig, 18–24 Grad
Hotel: Hilton Bracknell