Tag 15: Freitag, 18. April 2014
James River Blues – von Norfolk nach Richmond
„Wie es Leute gibt, die Bücher wirklich studieren und andere, die sie nur durchblättern, gibt es Reisende, die es mit den Ländern ebenso machen: sie studieren sie nicht, sie blättern sie nur durch.” – Fernandino Galiani
Als ich die Vorhänge zurückziehe, schaut mich mal wieder ein völlig bedeckter Himmel an. Zum Glück ist es wenigstens trocken. Man muss bei diesem Aprilwetter ja schon für Kleinigkeiten dankbar sein. Wärmer ist es deshalb aber noch lange nicht. Immer noch hält sich diese blöde Kaltfront hartnäckig. So fällt es mir auch nicht ganz so schwer, die Küste zu verlassen. Leider schaut es für den ganzen heutigen Tag nicht viel besser aus, was mich schon etwas traurig stimmt, denn besonders die Strecke am James River entlang macht bei Sonne sehr viel mehr Spaß.
Schön ist allerdings, dass hier im Süden von Virginia endlich der Frühling zu beginnen scheint, denn die meisten Bäume zeigen erste, saftig grüne Blätter oder stehen noch in voller Blüte. So hatte ich mir das ja überall vorgestellt.
Erst einmal will ich allerdings noch kurz nach Fort Monroe. Das Army Fort ist erst seit Kurzem wieder für die zivile Nutzung freigegeben und heute zu Teilen unter der Verwaltung des National Park Service, aber auch neues Wohnviertel.
Recht bald finde ich das Old Comfort Lighthouse, weswegen ich hierhergekommen bin. Gleich daneben stehen schöne Südstaatenvillen, die früher einmal die Wohnhäuser der Kommandanten waren.
Als ich an einer alten Verteidigungsanlage vorbeikomme, sehe ich eine Toreinfahrt im inneren Fort und dahinter weitere Häuser. Bei näherem Hinsehen wird das Ganze mit einer Ampelanlage geregelt und ich fahre ins Herz des alten Forts. Dieser Teil wurde schon im Civil War genutzt.
Dementsprechend älter sind auch die Gebäude. Ich entdecke auch ein Schild, dass einer der berühmtesten Gefangenen hier Jefferson Davis war, der erste und einzige Präsident der Konföderierten Staaten von Amerika. Auch Abraham Lincoln besuchte das Fort während seiner Präsidentschaft. Hier wurde wahrlich Geschichte geschrieben. Zu gerne hätte ich mich hier noch etwas mehr umgeschaut, doch leider hat so früh am Morgen alles noch geschlossen.
So fahre ich schweren Herzens weiter. Da ich zuerst am Südufer des James River entlang will, rüber über die imposante US 17 Brücke und weiter bis nach Smithfield. Das Städtchen im Isle of Wight County ist berühmt für seine Schinkenproduktion, hat aber auch eine nette kleine Mainstreet.
Eigentlich will ich aber hierher, zum Chippokes Plantation State Park. Hier soll es ein schönes Plantagenhaus geben.
An der Self Pay Station werden vier Dollar Eintritt fällig, nur habe ich so gar nicht passend. Am Visitor Center kann mir aber geholfen werden. Für den netten Ranger ist das gar kein Problem und er stellt mir schnell ein Parking Permit aus. Dann habe ich auch schon den ersten Blick auf den James River, dem ich heute bis Richmond folgen will. Blöderweise nur immer noch bei wolkenverhangenem Himmel.
Auch das Plantagenhaus finde ich, nur beginnt die Saison erst in fünf Tagen. Na toll, wer hat sich denn das ausgedacht. Das stand aber im Internet nirgendwo.
So fahre ich schneller weiter als gedacht. Unterwegs sehe ich ein Schild, das auf das Bacon’s Castle hinweist. Meine Neugier ist geweckt und ich biege kurzentschlossen ab. Bei meiner Ankunft fühle ich mich fast nach England versetzt und das ist auch nicht so weit hergeholt.
Im Jahr 1665 erbaut, ist das Haus in dem in der Neuen Welt sehr selten zu findenden jakobinischen Stil erbaut. Arthur Alle war der Erbauer des Hauses, das seit der Gründung der Royal Colony of Virginia hier steht. Leider ist heute keine Inneneinrichtung erhalten und da die nächste Tour erst in mehr als einer Stunde startet, sehe ich mich nur auf dem Grundstück um, bevor es weiter geht.
Ich will nämlich mit der Fähre den James River überqueren und die fährt nur zu bestimmt Zeiten. Was ich nicht ahne, ist, wie groß der Andrang ist. Zwanzig Minuten vor Abfahrt stehen schon etwa dreißig Autos vor mir. Als ich dann die kleine Fähre sehe, wird mir schnell klar, dass ich hier wohl etwas länger anstehen muss. Und so kommt es dann auch, kurz vor mir ist das Schiff voll und ich muss eine halbe Stunde warten. Das wirklich Unglaubliche ist aber, dass die Schlange hinter mir jetzt sogar doppelt so lang ist. Die Fähre ist übrigens kostenlos.
Zwanzig Minuten dauert die Überfahrt, bei der ich einen kurzen Blick auf das Jamestown Settlement erhaschen kann. Das Historic Triangle ist aber auf dieser Tour nicht mein Ziel. Das habe ich früher schon mal besucht.
Ich biege gleich hinter der Fähre auf den John Tyler Highway ab, benannt nach dem 10. Präsidenten der USA. An dieser Straße liegen auch einige der schönsten James River Plantagen. Die Erste ist Sherwood Forest. Präsident John Tyler bewohnte das Haus nach seiner Präsidentschaft bis zu seinem Tod im Jahr 1861. Noch heute ist das Herrenhaus von der Familie bewohnt, weshalb nur der Garten frei zugänglich ist. Das Haus selbst kann man nur zu besonderen Anlässen besichtigen.
Zwei der schönen Plantagen muss ich auf dieser Tour leider auslassen. Evelynton hat neue Besitzer, die momentan keine Besichtigungen erlauben und die Zukunft vom schönen Carters Grove ist ungewiss. Die Plantage, die einstmals ein Museum und durch Missmanagement in den Konkurs ging, dann verkauft wurde und nun verfällt, kann auch nicht mehr besichtigt werden. Hoffentlich findet sich bald ein neuer Besitzer.
Immer noch in Familienbesitz und in ausgezeichnetem Zustand ist dagegen die Berkeley Plantation, die ich über diese Gravelroad erreiche.
Berkeley ist eines der ersten großen Anwesen in Amerika. Es erstreckt sich auf mehr als 400 Hektar entlang des Ufers des James Rivers. Benjamin Harrison IV gründete die Plantage und erbaute das Herrenhaus, das zu den drei ältesten Ziegelhäusern in Virginia gehört. Berkeley ist auch der Familiensitz von gleich zwei US-Präsidenten, William Henry Harrison und seinem Urgroßenkel Benjamin Harrison.
Nach dem amerikanischen Bürgerkrieg gelang es der Familie Harrison allerdings nicht, den Besitz zu halten. Das Haus hatte mehrere Besitzer und verfiel schließlich, bis es 1907 vom Schotten John Jamieson gekauft wurde. Es war sein Sohn Malcolm und dessen Frau Grace, die das Anwesen schließlich restaurierten und ihm seinen alten Glanz zurückgaben. Die Familie Jamieson wohnt auch heute noch hier, weshalb nur das Erdgeschoss des Hauses besichtigt werden kann. Aus demselben Grund sind auch keine Innenaufnahmen gestattet.
Im Hausgiebel noch heute zu sehen sind auch die Initialen der Erbauer. H für Harrison, B für Benjamin IV, A für seine Frau Anne und das Jahr 1726, in dem das jetzige Herrenhaus erbaut wurde.
Die Plantage ist auch Schauplatz einiger historischer Ereignisse in der Geschichte der damals noch jungen Nation gewesen. So wurde hier am 4. Dezember 1619 das erste offizielle Thanksgiving gefeiert, 1621 von George Thorpe der erste Bourbon Whiskey destilliert oder die offizielle Army Hymne „Tabs” hier geschrieben und zum ersten Mal gespielt.
Vom terrassenförmig angelegten englischen Garten führt mich dieser Weg zu Friedhof des Anwesens.
Hier haben sowohl viele Mitglieder der Familie Harrison, als auch Malcolm und Grace Jamieson ihre letzte Ruhe gefunden.
Ein Gedenkstein erinnert an die Unterzeichner der „Declaration of Independence”, zu denen auch Benjamin Harrison V, der Sohn des Erbauers von Berkeley, gehörte. Besonders auf die Tatsache, dass diese Unterschrift ein hohes Risiko für sie selbst und ihre Familien bedeutet, wird hier hingewiesen. Neun der Unterzeichner starben während des Unabhängigkeitskrieges, fünf von ihnen wurden eingesperrt sowie deren Familien ermordet, eingesperrt oder enteignet und ihrer Häuser niedergebrannt.
Und schließlich bestaune ich noch die Kanonenkugel, die in der Hauswand eines Nebengebäudes steckt. Dass sie aus dem Civil War stammt, ist unbestritten, doch ob sie seitdem dort oben steckt schon. Die einen sagen ja, die anderen, dass sie auf dem Grundstück gefunden und dann dort platziert wurde.
Nur wenige Kilometer weiter und ebenso schön am Fluss gelegen steht eines der wohl großartigsten gregorianischen Herrenhäuser der neuen Welt, Westover. Die Plantage ist heute ebenfalls in Familienbesitz, weshalb nur der Garten besichtigt werden kann. Das Haus selbst ist lediglich zur Garden Week geöffnet.
Auch Westover war, wie die meisten Plantagen in Virginia, eine Tabakplantage. Außerdem ist das Anwesen der Familiensitz der Byrds. William Byrd II gründete u.a. Virginias Hauptstadt Richmond.
Und noch eine letzte Plantage will ich heute besuchen – Shirley. Auch sie ist immer noch in Familienbesitz, diesmal übrigens in derselben Familie, die das Haus erbaut hat. Inzwischen lebt die 11. Generation der Hill-Carter Familie hier. Weiterhin ist Shirley die älteste noch immer arbeitende Plantage in Virginia und eines der ältesten Familienunternehmen in Nordamerika. Gegründet wurde es bereits 1614.
Besichtigt werden können neben dem Haupthaus auch diverse Nebengebäude, wie z.B. die Küche.
Wer nur Zeit für eine James River Plantage hat, der sollte Shirley wählen. Nur wenige Plantagen sind noch immer in einem so originalgetreuen Zustand. So findet sich zum Beispiel im Wohnzimmer ein Fenster, in dem alle Carter Frauen ihre Initialen hinterlassen haben, eingraviert mit dem Diamanten ihres Verlobungsringes.
Auch bedeutende Persönlichkeiten hat die Familie hervorgebracht. Eine von ihnen war Robert E. Lee, der berühmte Südstaatengeneral. Seine Mutter und Tochter des Hauses, Ann Hill Carter, heiratete im Salon Henry Lee.
Einen kleinen Umweg fahre ich noch, bevor es ins Hotel geht und der führt mich nach Petersburg. Die kleine Stadt war im Bürgerkrieg heiß umkämpft und davon zeugt auch heute noch ein Battlefield, das ich aber nicht besuche. Im Jahr 1993 wurden große Teile der Stadt von einem Tornado, dem schlimmsten, den Virginia je gesehen hat, zerstört oder beschädigt, was man noch heute sieht. Einige Blocks stehen einfach leer. Und auch sonst macht die Stadt keinen besonders einladenden Eindruck. So gibts nur ein paar Fotos von den Ecken, die ich ganz nett fand.
Hergekommen war ich ja eigentlich auch nur wegen dieses Hauses – dem Trapezium House. Das Trapezium House ist deshalb so ungewöhnlich, weil es keine Wände hat, die parallel zueinander stehen. Erbaut wurde es von Charles O’Hara, dem ein Diener aus der Karibik erklärte, dass ein solches Haus keine bösen Geister beherbergen könne. Leider kann das Haus derzeit nicht von innen besichtigt werden, denn es wurde verkauft. Ob es irgendwann wieder für die Öffentlichkeit zugänglich sein wird, ist ungewiss.
Am Abend komme ich schließlich in der Richmond Metro Area an. Bis ganz in die Stadt will ich heute nicht mehr, denn mein Hotel liegt im Vorort Chester. Hier hat vor kurzem ein ganz neues Residence Inn aufgemacht und das will ich nun mal ausprobieren. Mit meiner Studio Suite bin ich auch super zufrieden. Hier kann man es aushalten.
Und wie das bei Residence Inn so ist, gehört zum Zimmer auch eine voll ausgestattete Küche, die ich heute Abend auch noch ein bisschen nutzen will. Jeden Abend Essengehen wird ja auch langweilig.
Hier mal mein Einkauf für heute Abend und die morgige Fahrt.
Das TV Dinner wird dann auch gleich verputzt und war gar nicht mal so schlecht. Am besten waren aber der Chicken Pot Pie und der Cherry Pie.
Meilen: 170
Wetter: bedeckt, 4–11 Grad
Hotel: Residence Inn, $111.15