Tag 1: Dienstag, 28.07.2020
Aller Anfang ist schwer – Berlin nach Brüx
„Nur wer sich auf den Weg macht, wird neues Land entdecken!” – Hugo von Hofmannsthal
Diese Reise startet etwas ungewöhnlich, denn sie beginnt einmal nicht mit der Fahrt zum Flughafen Tegel. Stattdessen fahre ich an der Ausfahrt vorbei, denn nach Tschechien bin ich mit dem eigenen Auto unterwegs. Allein bin ich dieses Mal auch nicht, denn meine Mutti begleitet mich. Schon lange hatte sie den Wunsch, die alte Heimat noch einmal zu sehen und diesen Wunsch will ich ihr mit dieser Reise erfüllen. So führt uns die Reise einmal quer durch ganz Berlin und dann auf die Autobahn Richtung Dresden. An Dresden vorbeigeht es auf direktem Weg über die Grenze und von dort weiter in Richtung Brüx. Wir erreichen die Stadt, in der meine Großeltern bis nach 1945 gelebt haben, am frühen Nachmittag und starten mit einer kurzen Stadtbesichtigung.
Brüx, das im tschechischen Most heißt, ist eine typische Industriestadt, die touristisch eher eine untergeordnete Rolle spielt. Die Plattenbauten, die überall in die Höhe ragen, sind nicht gerade attraktiv. Und doch hat die Stadt mehr zu bieten, denn eigentlich schaut Brüx auf eine mehr als tausendjährige Geschichte zurück.
Das jedoch sieht man der Stadt, wie sie heute aussieht, nicht mehr an. Zumindest auf den ersten und wahrscheinlich auch auf den zweiten Blick. Der Ort, der heute zusehen ist, wurde erst ab 1960 aufgebaut. Damals wurde beschlossen, die historische Stadt einfach abzureißen, um an die Kohlevorräte, die im Erdreich lagerten, zu kommen. Die Bewohner wurden kurzerhand in eine Neubausiedlung rund zwei Kilometer südwestlich des alten Stadtzentrums umgesiedelt, die größtenteils in der damals üblichen Plattenbauweise errichtet wurde.
Doch wer genauer hinschaut, der entdeckt auch hier einige ältere Bauwerke. Teile der Neubausiedlungen aus den 1920er und 1930er Jahren haben den Abriss überlebt und bilden heute die Altstadt. Dorthin wird es auch uns noch ziehen, denn die Häuserzeile in der Mitte ist einer der Orte, die wir besuchen wollen. Schon im Vorfeld hat es mich einige Mühe gekostet, diesen Ort ausfindig zu amchen, doch dazu später mehr.
Das mit Abstand älteste Gebäude der Stadt ist jedoch die alte Dekanatskirche, die zwischen 1517 und 1520 erbaut wurde. Jedoch nicht an dem Ort, an dem sie heute zu finden ist, denn fast wäre auch die Kirche der Abrisswut der kommunistischen Regierung zum Opfer gefallen.
Die Kirche mit dem Namen Maria Himmelfahrt ist nun unser erstes Ziel. Der bekannte Architekt Jacob Haylmann war Architekt des Gebäudes, das nach einem verheerenden Stadtbrand eine frühere Basilika ersetzte. Das Geld für den Bau wurde durch eine öffentliche Sammlung zusammengetragen. Doch an jenem Ort, an dem die Kirche heute steht, steht sie erst seit 1975.
Wer sich mit Kirchen auskennt, dem fällt auch gleich auf, dass diese irgendwie falsch steht. In der Regel sind Kirchen immer Richtung Osten ausgerichtet, diese hier schaut aber nach Süden. Grund dafür, man hat bei ihrem Umzug nicht darauf geachtet. Und umgezogen ist die Kirche, aus der alten Stadt an diesen 871 Meter entfernten Ort – ein Unterfangen, das noch heute fast einzigartig ist.
Fünf Jahre dauerte es, die Verschiebung vorzubereiten. So wurde der Turm entfernt und auch die Fenster aus dem Gebäude genommen. Dann wurde die Kirche aus ihrem Fundament gehoben und auf Schienen gesetzt. Auf 53 Wagen wurde das Gebäude gesetzt und es dauerte es 28 Tage bis das Gotteshaus an seinem neuen Platz angekommen war. Dabei bewegte sich die Kirche rund zwei Zentimeter pro Minute. Wie das ausgesehen hat, zeigt ein kleines Modell, das in einer Ecke der Kirche zu finden ist.
Für Besucher geöffnet ist die Kirche aber erst wieder seit 1988. Ursprünglich sollte sie als Kulturzentrum ausgebaut werden, doch nach dem Umbruch wurde sie 1993 wieder zur Kirche geweiht und auch der barocke Altar im Kirchenschiff aufgestellt.
Ansonsten ist in der Kirche aber nicht mehr viel Barockes zu entdecken, denn im 19. Jahrhundert wurde das gesamte Gebäude renoviert und in einem schlichteren Stil gestaltet, der vor allem die besonderen Details hervorhob.
In der Kirche sind zwei Orgeln zu finden. Die schönste ist wohl die Barockorgel aus dem 18. Jahrhundert. Ihr Bau war nötig geworden, nachdem ein Blitz die Kirche traf und das vorherige Instrument zerstörte. Während diese Orgel 1107 Pfeifen hat, besitzt die etwas schlichtere und moderne Orgel daneben nochmals rund 3000 Pfeifen. Beide Orgeln können zusammen gespielt werden.
Bei einem Gang durch die Kirche gibt es viele Details zu entdecken. So auch das Taufbecken mit den deutschen Inschriften. Deutsch liest man hier sowieso sehr viel, denn einst war Brüx mehrheitlich von Deutschen besiedelt.
Über eine Treppe im hinteren Teil der Kirche gelange ich auf die Empore. Diese war früher den reichen Bürgern vorbehalten, die von hier dem Gottesdienst folgen konnten. Heute sind hier kleine Ausstellungen zur Kirche zu sehen, aber auch der Blick auf das Kirchenschiff lohnt sich.
Eine Besonderheit von Maria Himmelfahrt ist auch die verzierte Balustrade, die rund um das Kirchenschiff zu finden ist. Die farbigen Bilder zeigen Geschichten aus dem alten und neuen Testament.
Unser Rundgang auf der Empore erlaubt uns auch einen anderen Blick auf den Altar. Sogar dahinter können wir entlanglaufen und uns die kleine Wendeltreppe anschauen, auf der die Bürger hinunter zum Pfarrer gehen konnten, ohne das Hauptschiff zu betreten.
Ebenso imposant ist der Blick auf die große Orgel aus der Nähe. Sie ist so riesig, dass sie aus dieser Position kaum auf mein Foto passt.
In einige Nischen der Empore sind mehrere Buntglasfenster ausgestellt. Sie waren früher im Erdgeschoss der Kirche installiert, wurden aber für den Umzug entfernt. Leider haben das nicht alle Fenster überlebt und die verbliebenen werden nun hier gezeigt, um sie vor Witterungseinflüssen zu schützen. Viele haben deutsche Inschriften, die Rückschlüsse auf die Spender zulassen.
Unser Rundgang endet wieder vor der Kirche, um die herum ein kleiner Park angelegt wurde, der allerdings etwas mehr Pflege vertragen könnte. Im Park gibt es auch noch einiges zu sehen, doch das Licht ist so schlecht, dass ich keine weiteren Fotos mache und wir uns vornehmen, noch einmal herzukommen, falls das Wetter morgen super ist.
Hinter der Kirche ist gerade eine große Renaturierung im Gang. Hier, wo einst die Stadt Brüx stand und dann für Jahrzehnte das Loch eines Tagebaus klaffte, wird nun ein Naherholungsgebiet entstehen. Der dazugehörige See sowie einige Zufahrtsstraßen sind schon fertig. Weitere Ausflugsziele sollen entstehen.
Die Kirche ist aber nicht das einzige Gebäude, das die Abrisswut der Kommunisten überlebt hat. Auch die Burg Landeswarte auf dem Schlossberg schaut noch immer auf die Stadt hinunter. Die Fahrt nach oben ist etwas abenteuerlich. Zuerst geht es durch ein Wohngebiet, dann eine steile Straße empor, an der ein Schild schon vor der siebenundzwanzig prozentigen Steigung warnt. Danach führt eine schmale, einspurige Straße mit Ausweichstellen auf den eigentlich Berg, auf deren Spitze seit 1906 die Burg Landeswarte thront.
Schon seit dem 12. Jahrhundert gab es auf dem 399 Meter hohen Schlossberg eine Burg, die über der Königsstadt Brüx thronte. Im Dreißigjährigen Krieg wurden jedoch Burg und Stadt von den Schweden eingenommen und verloren danach an Bedeutung. Die Burg blieb schließlich als Ruine zurück und verfiel immer mehr. Erst als Brüx durch den Kohlebergbau wieder zu Reichtum gekommen war, begannen sich die Bürger wieder für die Burg zu interessieren.
Eine Phase der Burgenromantik führte schließlich 1896 zur Gründung des Vereins „Freunde des Schlossbergs”, der den Wiederaufbau der Anlage initiierte. Im Jahr 1906 wurde schließlich ein Replikat der Burg fertiggestellt und eine Gaststätte eingerichtet, die zu einem beliebten Ausflugsziel wurde. Auch meine Mutti erinnert sich, dass sie hier mit ihren Eltern hergekommen ist, damals allerdings zu Fuß und nicht so bequem mit dem Auto.
Bekannt ist der Schlossberg aber auch für seine tolle Aussicht auf die Stadt. Heute ist allerdings nur noch die neue Stadt gut zu sehen. Der Blick in Richtung Kohlegrube und ehemaligem Standort der Stadt ist zugewachsen, sodass kein kompletter Rundumblick mehr möglich ist.
Was aber machbar ist, die Burg auf einem kleinen Wanderweg einmal zu umrunden. Vom Weg gibt es teilweise schöne Ausblicke, an manchen Stellen allerdings nur auf die Burg, da der Bewuchs in Richtung Tal auch hier zu hoch ist. Möglich wäre der Rundumblick wahrscheinlich vom Burgturm, der aber heute leider geschlossen ist.
So begnügen wir uns mit den Ausblicken, die wir erhaschen können. Eigentlich sind das ja gar nicht so wenige, denn in drei Himmelsrichtungen ist die Fernsicht auch vom Rundweg gegeben.
Mit einem letzten Blick nach Norden verabschieden wir mich schließlich wieder vom Schlossberg und gehen zurück zum Auto.
Wir fahren zurück in die Stadt und auf direktem Weg in unser Hotel. Bevor wir einchecken, gehe ich noch in die Bank gegenüber, um etwas Bargeld zu besorgen. Ich staune nicht schlecht, als ich kurze Zeit später einen Zweitausender in der Hand halte. Nun ja, auf der Abrechnung werden später gerade mal rund achtzig Euro stehen. Und den Schein habe ich auch wechseln können.
Dann gehts aber zum Hotel Kapitol. Das sieht von außen ja nicht gerade einladend aus, aber das hatte ich schon in den Bewertungen gelesen. Der schnöde Bau passt gut in das Bild der Ostblockplattenbauten, mit denen man die gesprengte Stadt wiederaufgebaut hat.
Von innen wandelt sich das Bild aber zum Glück und das Hotel an sich ist dann sehr ansprechend und wir haben hier gut genächtigt.
Unser Zimmer im zweiten Stock hat zwar keine nennenswerte Aussicht, ist aber sehr ruhig und auch ansprechend eingerichtet.
Am Abend gehe ich noch in die Shopping Mall auf der gegenüberliegenden Straßenseite, wo etwas zum Abendessen besorge. Die Mall ist sehr modern und hat einen richtig tollen Food Court.
Kilometer: 390
Wetter: wolkig, 18–27 Grad
Hotel: Hotel Kapitol, Brüx (Most)