Historic Croydon Airport – Londons erster Flughafen
Im südlichen Londoner Stadtteil Croydon befindet der allererste Flughafen der britischen Hauptstadt. Und dieses Flugfeld, wie man es besser nennen sollte, hat einst Geschichte geschrieben.
Um aber einen Blick hinter die Kulissen des ehemaligen Flughafens werfen zu können, muss ich an einer Führung teilnehmen. Der ehemalige Terminal kann zwar von außen jederzeit ansehen werden, aber das war es dann auch schon. Der richtige Haken an der Sache ist aber, die Führungen finden nur am ersten Sonntag im Monat statt, denn das Croydon Airport Visitor Center wird von Ehrenamtlern betrieben. So stand der Wunsch hierherzukommen, schon lange auf meiner Liste, bevor es endlich geklappt hat.
Vor dem Gebäude treffe ich Jack. Er liebt Fliegen und alles, was mit Flugzeugen und Flughäfen zu tun hat. So ist es kein Wunder, dass es ihn hierhergezogen hat, um Besuchern die Geschichte dieses ganz besonderen Ortes näherzubringen.
Der Rundgang, an dem rund zehn Personen teilnehmen, beginnt vor dem Gebäude, genau unter der De Havilland DH.114 Heron, die vor dem Gebäude aufgestellt ist. In den 1950er Jahren wurden diese Flugzeuge im Regional- und Zubringerdienst eingesetzt.
Jack führt uns um das Gebäude herum. Airport House, wie der Terminal heute heißt, ist der erste Flughafenterminal weltweit, der genau für diesen Zweck gebaut wurde, nämlich um Flugpassagiere abzufertigen. Und Croydon war der erste internationale Flughafen von Großbritannien. Von 1920 bis 1959 wurde hier Flugbetrieb durchgeführt. Aber die Geschichte des Croydon Aerodome, wie der Flughafen zuerst genannt wurde, begann sogar noch früher. Bereits 1915 wurde hier eine Basis eingerichtet, die dafür sorgen sollte, deutsche Zeppeline abzufangen. Das Problem, sowohl Flugkenntnisse als auch Luftüberwachung steckten noch in den Kinderschuhen und es konnte bis zu einer Stunde dauern, bis man einen Zeppelin entdeckte. Und selbst dann, konnte kaum etwas ausgerichtet werden, denn man versuchte lediglich mit Haken und Pistolen den Zeppelin vom Himmel zu holen. Erst mit der Erfindung von Brandmunition hatte man mehr Erfolg.
Nach dem Ersten Weltkrieg entwickelte sich der Flugverkehr rasant und auch immer mehr Privatleute wollten nun fliegen. Am 29. März 1920 wurde deshalb der Croydon Airport in Betrieb genommen. Er war der erste Flughafen im Vereinigten Königreich und wer auf die Insel oder von ihr fliegen wollte, der musste nach Croydon. Die erste Fluggesellschaft war Imperial Airways (später BOAC-British Overseas Airways bzw. British Airways).
Auf der Rückseite des Hauses ist dann das absolute Highlight des Gebäudes zu sehen, der Tower von 1928 und der erste seiner Art weltweit. Zuvor wurden die Flüge aus kleinen Hütten auf dem Flugfeld abgefertigt, was aber nicht effizient genug war. Und noch etwas wurde hier zum ersten Mal im Flugverkehr eingesetzt, der Funkverkehr mit Sprache, der nach und nach die Morse Übertragung ablöste. Schon 1923 wurde genau hier auch der internationale Notruf erfunden. Funker Fred Mockford wurde gebeten, sich einen Notfallcode einfallen zu lassen und er schlug „Mayday, Mayday, Mayday” vor. Hauptgrund dafür, fast alle Flüge gingen von Croydon nach Paris und Mayday klang so ähnlich wie „M’aidez”, was französisch helfen sie mir bedeutet.
Schließlich sind wir zurück vor dem Haupteingang. Hier kamen die Passagiere an und hier betraten sie zum ersten Mal den Flughafen. So ein Flug von Croydon, das war der absolute Ausdruck von Luxus in den 1920er und 1930er Jahren. Vergleichbares gab es nicht. Wer es sich leisten konnte, der trat eine Flugreise an. Und die startete bereits mit einem Limousinentransfer aus der Londoner Innenstadt. Danach gab es ein drei Gänge Menü, bevor der Flug überhaupt startete.
Jack führt uns nun in das ehemalige Terminalgebäude, das heute als Bürogebäude genutzt wird. Deshalb gibt es auch einen Empfangstresen in der Mitte des Raumes. Der war natürlich früher nicht da. Ansonsten ist das Gebäude aber in einem bemerkenswerten Zustand. Es ist wirklich ein Glück, dass es erhalten wurde.
Dieses Haus und diese Halle, so erzählt uns Jack, waren in den zwanziger Jahren das Zentrum des Universums. Jeder, der etwas war, wollte hier sein. Während in den USA der zivile Flugverkehr erst nach dem Zweiten Weltkrieg richtig durchstartete, konnte man von Croydon bereits nach Paris, Amsterdam, Rotterdam und ab 1923 auch nach Berlin fliegen (Anmerk.: in dem Jahr wurde der Flughafen Tempelhof eröffnet).
Besonders die Hollywoodstars der damaligen Zeit wollten hier gesehen werden. So gibt es Aufnahmen von Charlie Chaplin, Mary Pickford, Douglas Fairbanks jr., Gracie Fields, Rita Hayworth und auch John F. Kennedy. Sie alle starteten und landeten in Croydon. Doch sie waren nicht die einzigen.
Flugpionier Charles Lindbergh flog nach seiner New York-Paris Atlantiküberquerung hierher und wurde in Croydon gefeiert. Alan Cobham flog 1925/26 von hier nach Kapstadt und zurück. Bert Hinkler startete 1928 von Croydon zum ersten Mal nach Darwin und nur ein Jahr später schaffte Charles Kingford Smith die Strecke noch schneller (Anmerk.: Der Flughafen Sydney ist noch heute nach dem australischen Flugpionier benannt.). Auch eine Frau war unter den Flugpionieren, die von Croydon in alle Welt flogen, doch diese Geschichte erzählt Jack erst später.
Zuerst einmal schauen wir uns weiter im Terminal um. An einer Wand gibt es ein großes Bild mit den Flugzeugen der damaligen Zeit. Darüber befindet sich eine Nachbildung der ersten Abflugtafel. Die bestand nur aus verschiedenen Uhren, die die Abflugzeiten anzeigten. Mit zunehmendem Flugverkehr wurde das aber schnell zu verwirrend und so schon zwei Jahre nach der Eröffnung wieder abgeschafft.
Ein Modell zeigt das Terminalgebäude, das dahinter befindliche Flugfeld, das erste Flughafenhotel der Welt auf der rechten Seite und die Flugzeugwerft auf der linken. Denn in Croydon starteten die Flugzuge nicht nur, sie wurden auch gleich hier vor Ort gebaut.
Durch eine Tür im hinteren Teil des Terminals folgen wir Jack tiefer in das Gebäude hinein. Ab hier darf man nur noch mit einem Guide unterwegs sein, während die Lobby zu den Öffnungszeiten auch auf eigene Faust angesehen werden kann.
Im angrenzenden Flur sind historische Fotografien zu sehen, die den Flughafen Croydon in Betrieb zeigen. Gleich das erste Bild zeigt die Frau, die hier Geschichte geschrieben hat – Amy Johnson. Die britische Flugpionierin war die erste Frau, die im Jahr 1930 allein von London nach Australien flog. Auf dem Bild zu sehen sind die Pilotin und ihr Flugzeug. Johnson war übrigens zuvor nie so weit geflogen. Ihre weiteste Strecke waren 237 Kilometer bis nach Kingston upon Hull. Und überhaupt trauten die meisten Leute einer Frau das Fliegen sowieso nicht zu. Doch die taffe Pilotin schaffte es nicht nur nach Australien, sondern führte später auch noch viele weitere erfolgreiche Flüge durch.
Die nächsten Bilder zeigen dann Flugzeuge, die in den 20er und 30er Jahren regelmäßig in Croydon zu sehen war. Darunter die holländische KLM und die deutsche Lufthansa, die noch bis in die 30er Jahre regelmäßig von Berlin nach London flog.
Am Ende des Korridors befindet sich ein Treppenhaus, das in den Tower hinaufführt. Während der Rest des Gebäudes heute vermietet ist, gehört der Tower dem Verein und ist ein kleines Museum. Damit die Besucher aber nicht in den vermieteten Bereichen herumlaufen, darf man hier nur mit einem der Ehrenamtler hinauf.
Das Flugzeug an der Decke ist eine Handley Page H.P. 42, ein viermotoriges Langstreckenflugzeug, das ab 1931 im Dienst war. Es wurden insgesamt acht Exemplare gebaut, von denen jedoch heute keines mehr erhalten ist. Achtzehn bis vierundzwanzig Passagiere konnten in zwei Kabinen, vor und hinter den Tragflächen, transportiert werden. Das Flugzeug selbst war komplett aus Metall, nur die Tragflächen waren mit Sperrholz bespannt.
Schließlich führt Jack uns in den Hauptraum des Towers. Hier wurde der gesamte Flugverkehr überwacht, wie das auch heute noch in einem Tower der Fall ist. Für die damalige Zeit gab eine bemerkenswerte technische Ausstattung, die hier gezeigt wird.
Alte Fotografien verdeutlichen noch mehr die Arbeit, die hier auf dem Tower geleistet wurde. So wurde nicht nur der Funkverkehr überwacht, auch Strecken wurden mit der Hilfe von überdimensionalen Landkarten berechnet.
Ebenso spannend sind die vielen ausgestellten Dokumente. So gibt es Flugrouten, Flugpläne und man kann auch sehen, was so ein Flug damals gekostet hat. Der Sonderflug nach Bagdad zum Beispiel kostete 1927 ganze 91 Pfund. Würde man das in die heutige Zeit umrechnen, wären das über 5.750 Pfund. Und das war nicht etwa in der First Class, sondern in einer kleinen, engen Maschine wie der auf dem Foto.
Schön anzusehen sind auch die Abflug- und Ankunftszeiten von Imperial Airways. So ein Flug nach Australien machte schon mal um die zehn Zwischenstopps, inklusive Übernachtungen unterwegs, denn Nachtflüge waren meist zu gefährlich. Schließlich flog man einzig auf Sicht.
In einer Vitrine wird dann nochmal Amy Johnson gedacht, jener Britin, die es als erste Frau allein nach Australien schaffte und später auch nach Kapstadt und New York. Trotzdem nahm ihr Leben ein tragisches Ende. Im Zweiten Weltkrieg durfte sie als Frau beim Militär nicht im Cockpit sitzen, so meldete sie sich als Pilotin für Transportflüge. Auf solch einem Flug stürzte sie vor der Themsemündung in die Nordsee. Ihre Leiche wurde nie gefunden. Aussagen einer Schiffsbesatzung bestätigen jedoch, dass ein Pilot mit dem Fallschirm absprang und das Wrack ihrer Maschine wurde später geborgen.
Mysteriös ist aber nicht nur das Verschwinden von Amy Johnson. Bis heute ranken sich Gerüchte darum, dass sie eine geheime Fracht transportierte oder gar einen Passagier. Bewiesen ist nichts davon und der Absturz nie endgültig aufgeklärt worden. Dieses Schicksal teilt sie mit der berühmten Fliegerin Amelia Earhardt, die gar spurlos verschwand. Die beiden Frauen trafen sich nur wenige Jahre zuvor noch in den USA.
Noch seltsamer ist aber ein Zwischenfall, der sich am 4. Juli 1928 zutrug. Der steinreiche Geschäftsmann Alfred Loewenstein bestieg mit einigen seiner Mitarbeiter ein Privatflugzeug, um nach Belgien zu fliegen, wo er mit seiner Familie lebte. Doch dort kam er nie an. Mitten über dem Kanal ging er in die Toilette, wo sich auch der Ausgang des Flugzeuges befand und verschwand. Er war einfach weg. Die anderen Passagiere behaupteten, er hätte sich wohl in der Tür geirrt, denn am 19. Juli fand man an einem Strand seine Leiche. Es wurde festgestellt, dass er beim Aufprall auf das Wasser noch lebte. Wahrscheinlicher ist allerdings, dass seine Angestellten in ein Mordkomplott verwickelt waren, angestiftet von seiner Frau. Was genau passiert ist, ist bis heute nicht abschließend geklärt.
Hier oben im Tower gibt es dann noch diese Großaufnahme des Flughafens. Man sieht sehr deutlich, dass nur ein kleiner Teil vor dem Terminal gepflastert war. Start- und Landebahnen waren einfache Pisten auf Gras.
Das war dann auch einer der Hauptgründe, warum der Flughafen geschlossen wurde. Die Flugzeuge wurden immer größer und schwerer und konnten auf dem unbefestigten Boden nicht mehr landen. Sie sanken bei feuchtem Wetter schlicht ein. Ein Ausbau wiederum war auch nicht möglich, denn London wuchs immer mehr und die Gebiete um den Flughafen waren inzwischen besiedelt. So wurden anstatt die Flughäfen London-Heathrow und London-Gatwick eröffnet. Der letzte Linienflug in Croydon hob am 30. September 1959 ab. Eine Ära war zu Ende.
Aber zurück zur Ausstellung, hier zeigt uns Jack, wie das mit dem Boarding früher so war. Einfach Platz reservieren und Einsteigen ging da nämlich nicht, denn das Gewicht musste noch mehr ausbalanciert werden, als das heute der Fall ist. Deshalb wurden alle Passagiere samt Gepäck vor dem Flug gewogen. Interessant ist auch, dass die Nummerierung der Sitze von hinten nach vorn verlief. Ein Gesamtgewicht durfte ebenfalls nicht überschritten werden, sodass es durchaus vorkam, dass jemand auf dem gebuchten Flug nicht mitreisen konnte.
Interessant ist auch der Ratgeber für Flugreisende. So gibt dieses Heftchen explizite Hinweise für weibliche Passagiere und beantwortet Fragen zu Kleidung, Gepäck und Make-up.
Richtig spannend wird es dann noch einmal bei der Ausstellung der verschiedenen Flugzeugsitze. Während der blaue Sessel ja schon recht modern aussieht, versetzen uns die Fotos daneben schon in Erstaunen. So sah ein Flugzeug damals von innen aus?
Auch dieser Doppelsitz ist schon recht modern und immerhin im Boden verankert, selbst wenn man mit dem Mitpassagier doch ganz schön auf Tuchfühlung geht.
Ganz abenteuerlich wird es dann bei diesem Stuhl. Ja, solche Korbstühle waren die ersten Passagiersitze in Flugzeugen. Fast unglaublich. Nicht nur, dass sie nicht sehr bequem waren, wenn man darauf mehrere Stunden verbringen musste, ohne sich großartig bewegen zu können, sie waren nicht einmal mit dem Flugzeugrumpf verbunden. Bei Turbulenzen oder einer harten Landung konnte es für die Passagiere also ziemlich unbequem werden.
Die Vitrine nebenan zeigt Geschirr, auf dem die Passagiere ihr Menü serviert bekamen, vor dem Flug, gleich hier im Terminal. An Bord war für solchen Luxus nämlich noch kein Platz. Bordservice ist erst eine Erfindung späterer Jahre.
Irgendwann muss ich mich dann aber doch von Jack verabschieden. Ich bin schon länger geblieben, um noch ein paar Fragen zu stellen. Doch die nächste Gruppe wartet bereits auf der Treppe und da müssen wir einfach Platz machen. Als ich gehen will, rät mir Jack aber noch die großen Schautafeln in der Lobby anzusehen. Darauf werden die Geschichten des Airports noch einmal lebendig. Einerseits die, die uns Jack schon erzählt hat, aber auch die, für die einfach keine Zeit mehr blieb.
Eine Geschichte, die mir noch ganz genau im Gedächtnis geblieben ist, ist der große Raub. Auch so etwas gab es am Croydon Airport. Und das war nicht irgendein Raub, es war einer der größten des 20. Jahrhunderts. Am 6. Mai 1935 betraten fünf Männer den Flughafen. Damals gab es nur einen einzigen Sicherheitsmann, der gerade im Terminal unterwegs war. Die Männer öffneten den Safe des Flughafens mit Gewalt und stahlen Goldbarren im Wert von 21.000 Pfund (heute mehr als 1,5 Millionen Pfund). Das Gold wurde niemals wiedergefunden und nur ein einziger Verdächtiger verhaftet.
Was ich auch noch spannend fand, der Flughafen war damals eine Touristenattraktion. Noch viel mehr als es Flughäfen heute sind. Allein im Jahr 1936 kamen 107.059 Besucher, um auf der Aussichtsterrasse den Flugzeugen beim Starten und Landen zuzusehen.
Jack erzählte uns auf dem Rundgang auch vom ersten Airport Hotel, das hier in Croydon entstand. Und auch das Hotel gibt es noch immer. Es sogar heute noch ein Hotel und man kann hier übernachten. Einfach erstaunlich.
Den letzten Hinweis auf ein Flughafengebäude bekam ich von Jack kurz bevor die Tour zu Ende war. Wenn ich den Parkplatz verlasse, solle ich auf ein kleines Gebäude auf der rechten Seite achten. Davor hat heute TGIs Fridays seine Werbung aufgestellt, doch das Gebäude dahinter war damals Teil des Flughafens. Die Ehrenamtler vom Crodon Visitor Center hoffen eines Tages das Geld zusammenzubekommen, um es auch noch zu renovieren. Ich habe sie gern mit einer kleinen Spende unterstützt, denn das ist wirklich ein tolles Projekt, das die Damen und Herren hier am Leben erhalten.
Croydon Airport Visitor Centre
Airport House, Purley Way, Croydon, CR0 0XZ
1. Sonntag im Monat: 11–16 Uhr
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