Tag 9: Samstag, 27. April 2019
Kunst und Kegel – Seattle, Teil 2
„My wife and I just prefer Seattle. It’s a beautiful city. Great setting. You open your front door in the morning and the air smells like pine and the sea, as opposed to bus exhaust.” – Ron Reagan
Nachdem ich mein Zimmer im Courtyard bezogen habe, mache ich mich nun wieder auf den Weg. Diesmal führt mich der Weg in südliche Richtung zum historischen Pioneer Square, an dessen Peripherie sich das Alaska Building mit meinem Hotel befindet. Der Pioneer Square war einst das Herz der Stadt und hier siedelten 1852 die Gründer von Seattle. Die ersten Gebäude bestanden größtenteils aus Holt, doch sie wurden beim großen Stadtbrand 1889 zerstört. Danach erfolgte der Bau der heutigen Häuser im neoromanischen Stil.
Mein erster Stopp ist der UPS Waterfall Garden Park. Der kleine japanische Garten befindet sich an jener Stelle, wo James Casey im Jahr 1907 mit gerade mal neunzehn Jahren die American Messenger Company gründete, der seit 1919 als United Parcel Service, kurz UPS, bekannt ist.
Der kleine, private Garten ist täglich geöffnet und eine Oase mitten in der geschäftigen Stadt. Im Park befindet sich ein knapp sieben Meter hoher, künstlicher Wasserfall, über den fast 20.000 Liter Wasser pro Minute gepumpt werden.
Mein nächstes Ziel ist der Klondike Gold Rush National Historic Park, der an zwei Orten die Geschichte des Goldrausches erzählt. Während die Ausstellung hier in Seattle auf die Vorbereitung und auch die Rückkehr fokussiert ist, gibt es einen weiteren Standort in Skagway, Alaska, an dem die Ereignisse auf den Goldfeldern thematisiert werden.
Die Ausstellung befindet sich im 1890 erbauten Cadillac Hotel, das fast abgerissen wurde, nachdem es während des Nisqually Erdbebens 2001 stark beschädigt wurde. Historic Seattle war es jedoch möglich, das Gebäude vom damaligen Besitzer zu erwerben und dann zu restaurieren. Der enorme Arbeitsaufwand wird in einer Broschüre sehr schön erklärt. Seit 2005 beherbergt das Gebäude nun den Klondike Gold Rush National Historical Park.
Das Museum zeigt vor allem, wie sich die Goldsucher, die von Seattle aus zu den Goldfeldern aufbrachen, mit allem eindeckten, was sie benötigen würden. Dadurch wurde Seattle zur Boomtown und der Handel florierte. Es wird sogar behauptet, dass mehr Menschen hier in Seattle reich wurden, als auf den Goldfeldern selbst. So ganz aus der Luft gegriffen ist das sicher nicht, wenn man die durchschnittliche Packliste eines Goldsuchers liest.
Auch wenn sich die Ausstellung vorwiegend auf Seattle konzentriert, so zeigt sie doch auch einen kleinen Einblick in das Leben der Goldsucher in Alaska, denn nicht jeder hat die Möglichkeit den anderen Parkteil in Skagway auch selbst zu besuchen. Ich war allerdings schon 2006 dort und auch nicht zum ersten Mal im Museum hier in Seattle.
Doch zurück zu den Geschäften, die in Seattle während dieser Zeit entstanden. Eines davon ist enorm gewachsen und existiert auch heute noch – Nordstrom. Zuerst als Schuhgeschäft während des Goldrausches gegründet, ist Nordstrom inzwischen zu einer der größten Kaufhausketten der USA gewachsen.
Während meines Besuchs in Seattle verkehrte das kostenlose Waterfront Shuttle, ein Busservice, der eine Runde durch die Innenstadt drehte und verschiedene Punkte anfuhr. So sollten vor allem Autofahrer dazu bewegt werden, die Park und Ride Parkhäuser außerhalb der Innenstadt zu nutzen. Das Projekt wurde jedoch nach zwei Jahren im Oktober 2019 leider eingestellt.
So fahre ich nun vom Pioneer Square mit dem Waterfront Shuttle zum Hafengebiet, wo es an den Piers auch viele Restaurants und Attraktionen gibt. In einem lokalen Fast Food Restaurant gönne ich mir ein spätes Mittagessen.
Ich drehe noch eine kleine Runde an den Piers, doch hier ist es recht voll, sodass ich bald wieder weitergehe.
Um zurück in die Innenstadt zu gelangen, muss ich den Alaskan Way, eine mehrspurige Straße überqueren. Und hier sehe ich dann auch eine der größten Veränderungen live und in Farbe passieren, die Seattle derzeit zu bieten hat, den Abriss des Alaskan Way Viaduct.
Das Alaskan Way Viaduct war eine zweigeschossige Autobahn, die der Wasserlinie von Seattle für knapp vier Kilometer folgte. Die Hochstraße wurde zwischen 1949 und 1959 in drei Phasen gebaut und beförderte noch im Jahr 2016 rund 91.000 Fahrzeuge täglich. Das nicht sehr ansehnliche Bauwerk wurde als störend zwischen der Innenstadt und dem Hafengebiet empfunden und schon seit den 1960er Jahren wurde immer wieder über den Abriss diskutiert.
Dass das Viaduct nicht sehr hübsch anzusehen war, gebe auch ich natürlich sofort zu und doch gehörte es für mich zu Seattle wie die Space Needle. Jedes Mal war es die Fahrt über die Hochstraße, die mich in die Stadt brachte und mir einem tollen Ausblick bescherte. Insofern war ich irgendwie trotz allem traurig, das Viaduct gehen zu sehen. Es gehörte für mich viele Jahre zu Seattle dazu.
Aber zurück zum Abriss, denn der wurde beschlossen, nachdem man Angst um die Erdbebensicherheit der Hochstraße hatte. Beim Nisqually Erdbeben 2001 war der Schaden zwar nur minimal, doch ähnliche Bauwerke stürzten bei Erdstößen bereits in sich zusammen und begruben Autos und Menschen unter sich. So wurde beschlossen, das Viadukt mit einer Kombination aus Autobahn und Tunnel zu ersetzen. Während im Industriegebiet südlich der Stadt also einfach eine sechsspurige Autobahn gebaut wurde, bohrte man zwischen 2013 und 2017 einen Tunnel, der nun unter der Innenstadt hindurchführt und so keine schönen Ausblicke mehr erlaubt.
Das Alaskan Way Viaduct selbst wurde im Januar 2019 geschlossen und kurze Zeit später begann der Abriss, der Ende 2019 beendet war.
Auf der anderen Seite des Viaduktes angekommen, habe ich nun einen schönen Blick auf einige Hochhäuser der Innenstadt.
Und während an der Waterfront der Blick durch den Abriss des Viaduktes nun frei ist, wird er andernorts anscheinend neu verbaut, denn eine Straße weiter sieht es so aus, als baue man eine Art Hochbahn. Ich bin schon gespannt, was hier entstanden ist, wenn ich wieder einmal in Seattle bin. Die Stadt ist im ewigen Wandel.
Auf meinem Weg zurück in die Innenstadt habe ich noch einen schönen Blick auf den historischen Smith Tower, den ich noch näher anschauen werde.
Ebenfalls toll zu sehen ist das Columbia Center, das mit 284 Metern momentan höchste Gebäude in Seattle. Bei seinem Bau 1985 war es der höchste Wolkenkratzer westlich des Mississippi, wurde aber bereits 1989 vom 310 Meter hohen US Bank Tower in Los Angeles übertroffen. Das 76 Stockwerke umfassende Gebäude sollte ursprünglich 305 Meter hoch werden, doch die Flugaufsicht erlaubte dies nicht, da sich das Gebäude zu dicht am Flughafen vom Seattle befindet, der nur wenige Kilometer südlich liegt.
Gegen das Columbia Center wirkt der 1914 erbaute und 147,5 Meter hohe Smith Tower doch winzig, aber bis zum Bau der Space Needle war er sogar das höchste Gebäude in Seattle und das höchste frei stehende Gebäude an der gesamten Westküste. Benannt ist der 42 Stockwerke umfassende Wolkenkratzer nach seinem Erbauer, dem Industriellen Lyman Cornelius Smith, der die Fertigstellung des damals vierthöchsten Gebäudes der Welt und des höchsten außerhalb von Manhattan, nicht mehr selbst erlebte. Erst sein Sohn konnte das Gebäude fertigstellen.
Die unteren stockwerke des neoklassizistischen Turmes bestehen aus Granit, der Rest aus weißem Terrakotta, der über die Jahrzehnte bemerkenswert sauber bliebt. Nur einmal, im Jahr 1976, wurde der gesamte Turm bisher gereinigt.
Im 35. Stock des Wolkenkratzers befindet sich eine Aussichtsterrasse und die will ich heute besuchen. Im Erdgeschoss gibt es ein kleines Café, in dem auch die Eintrittskarten verkauft werden. Von hier führt der Weg dann durch eine Ausstellung, die den Bau des Turms näher beleuchtet.
Aus der Ausstellung gelange ich schließlich in die Lobby im ersten Stock, die völlig aus Marmor besteht. Hier befindet sich der Zugang zu den sieben Fahrstühlen, die alle Stockwerke anfahren.
Die Messing verzierten Fahrstühle wurden von der Otis Company hergestellt und sind heute die einzigen an der gesamten Westküste, die noch von Aufzugführern bedient werden. So werde auch ich auf der Fahrt nach oben begleitet. Es ist interessant dabei zuzusehen, wie der Aufzugführer den Mechanismus bedient.
Im 35. Stock lande ich schließlich im Chinese Room, doch den lasse ich erst einmal links liegen, denn ich will hinaus auf die Aussichtsterrasse. Und die ist hier nur vergittert, was zum Fotografieren natürlich sehr angenehm ist, bei den recht kühlen Temperaturen aber doch recht frisch. Mit dicker Jacke und Schal ist es aber auszuhalten.
Von hier habe ich übrigens auch einen Blick zur Spitze hinauf. In den drei Stockwerken darunter befand sich einst ein riesiger Wassertank, der das Gebäude mit fließendem Wasser versorgte. Nachdem der Tank nicht mehr benötigt wurde, wurde er in den 1990er Jahren entfernt. Die drei Geschosse wurden dann zu einer Penthousewohnung ausgebaut, dem einzigen Wohnraum in dem sonst als Bürogebäude genutzten Turm.
Der Blick auf die Innenstadt ist dann auch wieder etwas anderes als von der nördlich gelegenen Space Needle, da ich mich hier viel dichter an den Wolkenkratzern von Downtown Seattle befinde. Vor allem das Columbia Center ragt in der Nähe in die Höhe.
Schön zu sehen ist aber auch der Arctic Club, das Hotel, in dem ich vergangene Nacht übernachtet habe.
Ebenso entdecken kann ich mein Hotel für diese Nach, das Courtyard by Marriott im Alaska Building. Der Schriftzug ist sogar noch immer an der Außenmauer zu entziffern.
Richtung Osten und Süden sind die Gebäude kleiner und es schließen sich die Vororte an. Der Mount Rainier zeigt sich aber auch heute Nachmittag nicht, was ich schon etwas schade finde. Allerdings habe ich ihn bisher auch nur einmal in voller Pracht von Seattle aus sehen können, das war während meines Besuchs im Jahr 2009.
Was ich noch von hier oben entdecken kann, ist die neue sechsspurige Autobahn, die das südliche Alaskan Way Viaduct ersetzt und durch ein Industriegebiet führt.
Ebenfalls gut zu sehen ist die Waterfront mit dem sich im Abriss befindlichen Alaskan Way Viaduct, auch wenn sich dieser Bereich am späten Nachmittag etwas im Gegenlicht befindet.
Dafür kann ich nun im Osten sehr schön die Cascades sehen, eine Bergkette, die die Küstengebiete Washingtons vom Rest des Staates trennt und dabei auch eine Art klimatischer Grenze zwischen dem regenreichen Westen und dem eher trockenen Osten bildet.
Nach einer Runde um die Terrasse habe ich schließlich wieder Downtown zu meinen Füßen zu liegen und während ich so die Aussicht genieße, kann ich zwischen den Hochhäusern doch tatsächlich die Space Needle entdecken. Einst war sie neben dem Smith Tower das einzige hohe Gebäude der Stadt, doch heute kann man die beiden Gebäude kaum noch vom jeweils anderen sehen.
Zu guter Letzt schaue ich mich noch ein wenig im Chinese Room um, in dem auch ein kleines Angebot an Speisen und Getränken gereicht wird. Ich aber interessiere mich mehr für die historischen Schriftstücke an den Wänden, die den Bau des Turmes dokumentieren.
Einer der Stühle im Chinese Room ist jedoch besonders und wird nicht von den Restaurantgästen genutzt. Der Legende nach wird jede Frau, die auf diesem Stuhl Platz nimmt, bald ihren Liebsten heiraten, daher der Name Wedding Chair.
Zum Abschluss geht es mit dem Fahrstuhl wieder nach unten. Während es in der Lobby noch sieben Fahrstühle gab, führt nur dieser eine zum Chinese Room, sodass ich etwas warten muss, bevor ich mitfahren kann.
Entlassen werde ich allerdings nicht dort wo ich eingestiegen bin, denn dieses Mal geht es bis ins Erdgeschoss, dessen Lobby noch reichhaltiger dekoriert ist.
Besonders die handgeschnitzten Indianerköpfe am Übergang der Wände zur Decke sind absolut bemerkenswert.
Nach diesem tollen Ausflug laufe ich die wenigen Meter zurück zu meinem Hotel, von wo ich nochmals einen schönen Blick auf den Smith Tower habe, der im Abendlicht nun golden schimmert.
Während ich mich auf meinem Zimmer etwas ausruhe, bricht die Dunkelheit herein und als ich das nächste Mal aus dem Fenster schaue, sieht der Smith Tower schon wieder anders aus. Abends wird besonders der oberste Teil des Turmes angestrahlt.
Nun wird es auch Zeit für mich, mich nochmals auf den Weg zu machen, denn ich will den Ausblick vom Smith Tower noch einmal bei Nacht erleben. Für die abendliche Auffahrt ist der Treffpunkt allerdings nicht das Café und auch die Ausstellung ist längst geschlossen. Alle Besucher werden nun am Haupteingang des Bürogebäudes empfangen, wo auch die Tickets für die abendliche Auffahrt verkauft werden. Da heißt es auch ein bisschen Geduld mitbringen, denn es kann nur eine begrenzte Anzahl an Gästen befördert werden. Nach einer halben Stunde Wartezeit geht es aber mit dem Fahrstuhl wieder nach oben.
Auch bei Nacht ist der Ausblick einfach fantastisch und ich kann nur empfehlen, den Smith Tower auch am Abend nochmals zu besuchen, selbst wenn man etwas Wartezeit in Kauf nehmen muss.
Nach rund einer Stunde fahre ich schließlich wieder nach unten und laufe zurück zu meinem Hotel. Jetzt macht es sich bezahlt, dass das Courtyard nur zwei Blocks entfernt liegt, sodass ich es nicht sehr weit habe.
Meilen: —
Wetter: heiter, 45 bis 54 Grad F
Hotel: Courtyard by Marriott Seattle Downtown/Pioneer Square