Tag 8: Samstag, 15. Juni 2019
High and Low – Bexleyheath nach Abingdon
„We wander for distraction, but we travel for fulfillment.” – Hilaire Belloc
Das Wetter sieht gut aus heute Morgen, Sonne und Wolken, das passt. So packe ich nach dem Frühstück bald meine Sachen und mache mich wieder auf den Weg. Der ist erst einmal ziemlich kurz, denn in Bexleyheath gibt es ein Herrenhaus, das ich mir kurz anschauen möchte – Hall Place.
Das imposante Haus wurde 1537 für Sir John Champneys, einem wohlhabenden Kaufmann und früheren Bürgermeister von London, erbaut. Besonders auf der Straßenseite sind die Tudoreinflüsse noch zu sehen. Die Steine für den Bau stammten größtenteils durch Heinrich VIII. geschlossenen Abtei Lesnes.
Ich betrete das Anwesen durch einen der Garteneingänge. Das Haus selbst sowie den historischen Garten um das Gebäude kann ich heute leider nicht besichtigen. Das muss ich auf ein anderes Mal verschieben. Es soll aber von der äußeren Gartenanlage zumindest möglich sein, noch einen Blick auf das Ensemble zu werfen.
Das klappt dann auch ganz gut. Von hier präsentiert sich das Haus völlig anders, denn hier ist der Anbau zu sehen. Robert Austen, ein weiterer wohlhabender Kaufmann erwarb das Anwesen 1649 und vergrößerte das Haus, indem er diesen Flügel mit rotem Backstein ansetzte.
Von hier kann ich auch einen schönen Blick in die Gartenanlage werfen. Näher komme ich jedoch nicht, denn ein kleiner Fluss verhindert den Zutritt.
Schade, ich hätte mich gern etwas mehr umgesehen, besonders als ich die Formschnitthecken entdecke, von denen ich ein großer Fan bin.
Meine Fahrt führt nun wieder südlich an London vorbei, wo ich zum Ouse Valley Viaduct gelange. Fast verpasse ich die kleine Haltebucht, an der man sein Auto abstellen kann, denn ansonsten ist das Halten an der recht viel befahrenen Straße nicht möglich, um das imposante Bauwerk näher unter die Lupe zu nehmen.
Von der Haltebucht führt ein Trampelpfad zu dem gewaltigen Viadukt, über das auch heute noch die Züge brettern. Die aus Ziegelsteinen gemauerte Eisenbahnbrücke wurde 1841 eröffnet. Sie ist 450 Meter lang und bis zu 29 Meter hoch.
Insgesamt besteht die Brücke aus 37 Rundbögen von je 9,1 Metern Spannweite sowie 36 Pfeilern. Um die benötigte Anzahl an Ziegeln zu verringern, wurden in die Pfeiler ovale Öffnungen eingearbeitet. Trotzdem wurden für den Bau rund elf Millionen Ziegelsteine im Kreuzverbund verarbeitet, die aus den Niederlanden mit Schiffen hierher gebracht wurden.
An beiden Enden des Viadukt befinden sich massive Widerlager, die mit kleinen Steintürmchen verziert sind und von denen die ebenfalls aus Stein bestehende Balustrade abgeht.
Zwischen 1996 und 1999 wurde die Eisenbahnbrücke aufwendig saniert, denn sie ist noch heute in Benutzung und muss so auch den Sicherheitsanforderungen des modernen Bahnverkehrs genügen.
Besonders faszinierend ist übrigens der Blick direkt durch die Rundbögen, die sich in den Pfeilern befinden.
Als ich gerade wieder zum Auto gehen will, ratterte gerade ein weiterer Zug über das Viadukt. So drehe ich mich noch einmal um und mache ein Foto, bevor ich dem Trampelpfad zurück zur Parkbucht folge.
Ganz in der Nähe befinden sich die Borde Hill Gardens, die ich ebenfalls besuchen will. Auf dem Parkplatz bietet sich gleich mal ein tolles Bild, denn hier scheinen gerade Oldtimer Liebhaber unterwegs zu sein.
Borde Hills Gardens ist über achtzig Hektar groß und umgibt ein Herrenhaus, das aber nicht zu besichtigen ist. Während die Anfänge des Anwesens schon auf das Jahr 1534 zurückgehen, wurde die Gartenanlage erst ab 1893 von Colonel Robert Stephenson Clark angelegt, der Borde Hill seinerzeit erwarb.
Direkt nach dem Eintreten stehe ich im 1996 neu angelegten Rosengarten, in dem rund einhundert verschiedene Rosenarten blühen und einige moderne Skulpturen ausgestellt sind.
Gleich dahinter befindet sich das 1598 im Tudor Stil erbaute Herrenhaus, das noch heute von der Familie Clarke bewohnte wird. Die Gärten sind zwar seit 1965 für die Öffentlichkeit zugänglich, das Haus selbst bleibt aber privat.
So widme ich mich weiter meinem Rundgang durch die Gartenzimmer, von denen manche schon über hundert Jahre als sind, andere aber erst in den letzten Jahrzehnten geschaffen wurde. Der Garten wird auch heute noch ständig erneuert und erweitert.
Ein besonders schönes Gartenzimmer ist der italienische Garten. Wo heute der Teich zu finden ist, befand sich ursprünglich der Tennisplatz der Familie. Erst 1982 wurde dieser entfernt und damit begonnen, diesen Garten einzurichten.
Dieses Gartenzimmer gehört immer noch zu den beliebtesten bei den Besuchern und Teile wurden 1999 renoviert und mit neuen Skulpturen versehen.
Der Weg führt mich schließlich weiter. Borde Hill Gardens ist nicht nur für seine Gartenzimmer, sondern auch für seine Bäume berühmt. Viele von ihnen sind besonders stattliche Exemplare, die es in so großer Anzahl nur in wenigen Gärten gibt. Der Blick wird aber auch immer wieder durch die Kunstwerke angezogen, die überall im Garten zu finden sind.
Der Garden of Allah gehört hingegen zu den historischen Ecken der Anlage und wurde schon um 1920 angelegt. Besonders schön soll es hier im Frühjahr sein, wenn viele der Büsche in voller Blüte stehen.
Ich folge den verschlungenen Wegen durch den Garten und stehe plötzlich an einem Aussichtspunkt, von dem ich weit über das Anwesen und darüber hinaus schauen kann. In der Ferne entdecke ich sogar ein weiteres Herrenhaus.
Dieser Weg führt mich dann auch zum Ausgang von Borde Hill Gardens und wieder zurück zu meinem Auto. Ich habe nun noch ein Stückchen Fahrt vor mir, denn ich will noch in den Westen von England, wo es ein Herrenhaus gibt, das ich schon lange besichtigen will. Leider hat es nur sehr begrenzt geöffnet, doch morgen soll solch ein Tag sein. Das Wetter soll auch passen und so habe ich mir gestern Abend noch ein Zimmer auf halber Strecke gebucht.
Heute aber will ich erst einmal noch ein anderes Anwesen besuchen, Kelmscott Manor. Dazu fahre ich in das kleine Dörfchen Kelmscoot in den Cotswolds, das mit seinen engen Gassen dem heutigen Autoverkehr kaum gewachsen ist. Deshalb befindet sich der Parkplatz auch außerhalb und ich muss die letzten Meter durch das urige Dorf zu Fuß zurücklegen.
Nach rund fünfzehn Minuten erreiche ich den Eingang von Kelmscott Manor. Das Anwesen, das bereits um 1570 gegründet wurde, ist heute besonders wegen eines Besitzers bekannt, William Morris. Von 1871 bis 1896 lebte der bekannte Dichter, Politiker und Designer hier und empfing auch einige illustere Gäste. Besonders bekannt ist Morris als einer der Gründer der Arts and Craft Bewegung.
Auf einem Rundgang lerne ich zunächst das Haus kennen. Ich darf mich auf eigene Faust durch die Räume bewegen und auch fotografieren. So mag ich es am liebsten.
Die Einrichtung des Hauses geht heute größtenteils auf Morris zurück. Dabei wurden antike Stücke mit Möbeln aus der eigenen Produktion kombiniert. Auch die bekannten blau weißen Fliesen, die oft um die Kamine im Arts und Craft zu finden sind, wurde hier verbaut.
Neben dem Erdgeschoss steht auch das erste Obergeschoss zur Besichtigung offen. Hier befanden sich die Schlafzimmer des Hauses.
Besonders interessant ist auch die ungewöhnliche Treppe, die auf den Dachboden führt.
Hier oben, unter dem Giebel des Hauses, waren die Zimmer für die Dienstboten untergebracht.
Nach der Innenbesichtigung schaue ich mir auch noch den Garten an, der allerdings nicht besonders groß ist.
Morris hatte das Haus zeit seines Lebens übrigens nur gemietet. Erst 1913, ein Jahr vor ihrem Tod, kaufte seine Witwe Jane, das Anwesen, um es ihren Töchtern zu hinterlassen. May Morris vermachte das Haus 1938 der University von Oxford, die es aber bereits ein Jahr später wieder verkaufte. Erst seit 1962 gehört das Anwesen der Society of Antiquaries of London, die es seitdem pflegt und der Öffentlichkeit zugänglich macht.
Nach diesem interessanten Besuch fahre ich weiter bis nach Abingdon südlich von Oxford, wo ich für heute Nacht das noch recht neue Hilton Garden Inn reserviert habe.
Das Hotel ist wirklich sehr schön geworden und ich fühle mich hier auf Anhieb wohl.
Zum Abendessen hole ich mir heute wieder etwas aus dem Supermarkt. Dann sichere ich noch die Bilder und schalte recht bald das Licht aus in der Hoffnung, dass die Wetterfrösche morgen recht behalten und ich einen schönen Tag erleben werde.
Meilen: 180
Wetter: heiter bis wolkig, 15–22 Grad
Hotel: Hilton Garden Inn Oxford-Abingdon