Tag 12 – Sonntag, 22. Mai 2016
High Society – London nach Berlin
„Keep calm and love London.” – unknown
Ich habe noch den ganzen Tag Zeit, bevor es heute Abend zurück nach Berlin geht. Und das ist auch gut so, denn heute strahlt die Sonne wieder von einem knallblauen Himmel. So mache ich mich gleich auf nach Hampstead Heath. Schon seitdem ich den Film Notting Hill zum ersten Mal gesehen habe, will ich Kenwood House besuchen, doch bisher hat es sich nicht ergeben. Heute will ich schauen, ob man den Park, der schon recht zentral in London liegt, nicht auch mit dem Auto erreichen kann. Auf der Seite von English Heritage, von denen das Haus verwaltet wird, habe ich gelesen, dass es hier einen kleinen Parkplatz geben soll. Nach kurzer Suche entdecke ich die Einfahrt. Der Parkplatz ist wirklich winzig, doch so früh am Morgen finde ich gerade noch einen Platz.
Hampstead Heath ist ein 3,2 Quadratkilometer großer Park im Norden von London. Auf dem Gelände liegen 25 größere Teiche sowie alten Waldflächen, Sümpfe, Hecken und Grasflächen.
Vom Parkplatz am nördlichen Ende ist es nicht weit bis zum Kenwood House. Der Teil des Parks hier ist sehr gepflegt und am heutigen Sonntagmorgen sind viele Londoner unterwegs, Familien, Leute mit Hunden, Jogger und viele andere Sportler. Und hier sind auch gerade die Rhododendron in voller Blüte.
Kenwood House stammt ursprünglich aus dem 17. Jahrhundert und wurde von 1764 bis 1779 für William Murray, 1. Earl of Mansfield von Robert Adam umgebaut. Es war das dritte Anwesen, welches Adam nach Syon House und Osterley (die ich heute auch noch besuchen werde) im Klassizismus gestaltete. Im Jahr 1925 kaufte Lord Iveagh das Anwesen und schenkte es zwei Jahre später der britischen Nation, allerdings unter der Auflage, dass der Zutritt für immer kostenlos zu sein hat. Und das ist er auch noch heute.
Der Haupteingang zum Haus liegt auf der Rückseite, die nicht so aufwendig verziert ist, wie die Südfront. Im Eingangsbereich empfängt mich dann ein Mitarbeiter von English Heritage und erzählt mir die Geschichte zum Haus. Dann aber darf ich auf eigene Faust losziehen und sogar fotografieren darf ich, was nicht in allen Häusern des English Heritage gestattet ist.
Die Bibliothek ist wohl der beeindruckendste Raum des ganzen Hauses und gilt als ein Meisterwerk von Robert Adam.
Ich fahre weiter, einmal quer durch London. Das geht am Sonntagmorgen sehr gut und das Navi leitet mich zuverlässig durch das Straßengewirr von West-London. Leider zieht sich unterwegs der Himmel in einer atemberaubenden Geschwindigkeit zu. Schade, aber nicht zu ändern.
Am Ende einer kleinen Seitenstraße biege ich in den Syon Park ein, der direkt an der Themse liegt. In seinem Herzen liegt Syon House, das letzte Stadthaus eines Duke, das noch immer in Privathand ist. Und der Besitzer ist nicht irgendein Duke. Den Stammsitz dieses Herrn habe ich auf dieser Reise schon besucht – Alnwick Castle. Hausherr ist hier ebenfalls der Duke of Northumberland.
In der Eingangshalle, die übrigens ein Prunkstück der Arbeit von Robert Adam ist, zeige ich nun kurz meinen HHA-Pass zu und dann darf ich auch schon auf Entdeckungstour gehen. Und die führt mich zuerst einmal in den Keller.
Wo heute Syon House steht, gab es einst ein Kloster, das 1415 unter Heinrich V. erbaut wurde. Syon leitet sich vom biblischen Wort Zion, im lateinischen Sion, ab. Das Kloster wurde jedoch 1539, unter Heinrich VIII., wieder abgerissen. Nur einige der unteren Gewölbe sind erhalten geblieben, auf denen 1547 bis 1552 das Herrenhaus im Stil der italienischen Renaissance errichtet wurde. Seit 1594 befindet sich das Haus in der Familie des früheren Earls und jetzigen Duke of Northumberland.
Nach diesem kleinen Exkurs geht es aber wieder nach oben ins Erdgeschoss, wo die Prunkräume von Syon House liegen. Heute werden sie aber nur noch wenig genutzt, denn die jungen Generationen der Familie ziehen es vor in ihren Eigentumswohnungen zu leben, wenn sie sich in London aufhalten. So ist das Haus dann auch regelmäßig an drei Tagen in der Woche geöffnet.
Die Bibliothek ist für einer der fantastischsten Räume. Nicht nur die Einrichtung und die vielen Bücher begeistern mich, besonders die vielen kleinen Details haben mich eine ganze Weile hier festgehalten.
So entdecke ich dann auch diese Spiegel in der Wand. Und ja, die Bilder sind alle korrekt abgebildet. Das ist ein bisschen wie im Spiegelkabinett auf dem Rummel, einmal steht man Kopf, ein anderes Mal erwähnt man sich viel weiter weg.
Auch interessante Fotos gibt es hier zu bestaunen. Dazu gehört dieses von der königlichen Familie handsignierte Foto …
… oder auch ein recht aktuelles Familienfoto des Duke of Northumberland. Ich erfahre auch, dass bisher nur die Töchter verheiratet sind. 🙂
Im Treppenhaus entdecke ich dann diese außergewöhnliche Sevres Vase. Sie war ein Geschenk des damaligen französischen Königs Karl X., dessen Krönung der 3. Duke of Northumberland 1825 als britischer Botschafter beiwohnte.
Durch die Fenster des oberen Treppenabsatzes kann ich dann auch den Löwen, das Wappentier der Familie, auf dem Eingangsportal sehen. Leider kommt man an diese Seite des Hauses nicht von draußen, da das der private Teil des Gartens ist.
Im Obergeschoss gibt es verschiedene Schlafzimmer. Eines von ihnen ist allerdings nicht original, sondern wurde hier komplett für den Spielfilm Gosford Park eingerichtet. Im Übrigen wurden im Haus schon viele Filme gedreht, darunter auch Emma oder die Avengers.
Ganz zum Schluss erreiche ich schließlich die zwei historisch gesehen wohl wichtigsten Räume des Hauses. Das linke Zimmer gehörte Prinzessin Victoria von 1831 bis 1837 (später Queen Victoria) und das rechte der 3. Duchess of Northumberland, die ihre Gouvernante war. Victoria vertrug sich nicht sehr gut mit ihrer Mutter, mit der Herzogin verband sie dagegen sehr viel und sie verbrachte hier ihre gesamte Jugendzeit.
Dann gehe ich zurück ins Erdgeschoss. Hier kann man aus dem Fenster bis zur Themse schauen. Dahinter, am anderen Flussufer, liegt übrigens Kew Gardens, der berühmte Londoner Botanische Garten. Und dann habe ich noch das Glück, dass gerade die Tür zum Innenhof aufgeht. Da kommt man eigentlich nicht hin, doch ein Angestellter zeigt gerade einem zukünftigen Hochzeitspaar den Ort, sodass auch ich einen kurzen Blick hinauswerfen kann.
Auf dem Weg hinaus komme ich dann noch an diesen Stühlen vorbei. Die kenne ich schon von anderen Besichtigungen. Man hat sie nur, wenn man an der Krönung des jeweiligen Monarchen teilnahm. Immer dann dürfen die Stühle von den Gästen als Souvenir mitgenommen werden.
Wieder draußen, erlebe ich dann gleich mal hautnah, was es heißt, in West-London zu leben. Ein A380 der Emirates düst über meinen Kopf. Er fliegt so tief, dass man fast glaubt, er würde gleich hier landen und nicht erst in Heathrow. Erstaunlich ist dabei, dass das hier eine sehr teure und gute Wohngegend von London ist. Die Menschen hier sind aber inzwischen auch ziemlich genervt, denn die Maschinen kommen hier im Zwei-Minuten-Takt. Es ist wirklich unglaublich.
Ich gehe derweil in den Garten von Syon House, wo ein weiteres architektonisches Prachtstück zu finden ist – die Orangerie. Sie wurde 1820–27 für den 3. Duke errichtet. Nach dem Vorbild wurde übrigens 1851 auch der berühmte Crystal Palace eigens für die erste Weltausstellung in London erbaut.
Es könnte wirklich idyllisch sein, aber die Maschinen düsen ununterbrochen über meinem Kopf hinweg. Das ist schon etwas gewöhnungsbedürftig.
Trotzdem ist der schöne Garten hier ein beliebtes Ausflugsziel. Am heutigen Sonntag sind viele Spaziergänger unterwegs.
Hinter der Orangerie folgt ein Weg weiter in den Syon Park hinein.
Schließlich gehe ich doch wieder zum Auto zurück. Mein nächstes Ziel ist nicht weit entfernt. Nur gute vier Meilen sind es, bis ich das Strawberry Hill House erreiche. 1749–1776 wurde das Haus im Gothik Revival für Horace Walpole, 4. Earl of Orford gebaut. Walpole war Schriftsteller und wollte sich hier ein gotisches Schloss erbauen. Strawberry Hill war übrigens auch das Vorbild für seinen Roman „Das Schloss von Otranto”, den er 1764 zunächst unter einem Pseudonym veröffentlichte. Das Buch gilt als Begründer der Gothic Novel Literatur.
Leider ist heute nur noch das Haus selbst zu besichtigen. Die Sammlung von Horace Walpole ist nicht mal mehr auf demselben Kontinent. Sie wird heute in der Lewis Walpole Library der Yale University in Farmington, Connecticut verwahrt. KLICK Das Haus allerdings ist seit 2010 wieder für Besucher geöffnet, nachdem es umfangreich renoviert wurde.
Einen der beeindruckendsten Räume sieht der Besucher gleich zuerst, das Treppenhaus. Jede der Fantasiefiguren auf dem Treppengeländer ist anderes, keine zwei gleich. Das goldene Gestell ist allerdings nicht original, es wurde installiert, nachdem das St. Andrews University College hier eingezogen war, um die Figuren zu schützen.
Ein besonderes Stück im Garten ist übrigens diese Muschelbank. Das Original war der Lieblingsplatz von Horace Walpole. Einst stand die Bank am Themseufer, die heutige Replik steht im Garten mit Blick auf das Haus. Auch ich probiere sie aus, während ich ein wenig die letzten Sonnenstrahlen genieße.
Als letzten Stopp für heute habe ich Osterley ausgewählt. Schon so oft wollte ich hierher, unzählige Male habe ich das Haus aus dem Flugzeug beim Landeanflug gesehen, doch hergekommen bin ich bisher noch nie. Da Osterley nicht weit von Heathrow entfernt liegt, bietet es sich allerdings an, hier auf dem Weg zum Flughafen noch zu halten.
Osterley House wurde 1562 im Tudorstil für Sir Thomas Gresham, den Finanzberater von Königin Elizabeth I. gebaut. 1711 wurde es vom damaligen Lord Mayor of London, Francis Child, gekauft. Sein Enkel war es, der 1761 schließlich Robert Adam mit einem umfassenden Umbau beauftragte. Adam fügte an der Fassade die Säulen und Treppen hinzu.
Das größte Kunstwerk aber ist die Innenausstattung. Neben Kenwood und Syon House ist das die berühmteste Arbeit von Robert Adam in London. Er gestaltete in Osterley alles, von Decken und Wänden, bis hin zu Möbeln, Fußböden und Teppichen.
Für die Öffentlichkeit zugänglich ist das Haus übrigens schon seit 1939, nachdem es seit 1923 dem 9. Earl of Jersey gehört hatte. Im Jahr 1949 wurde es dann vom National Trust übernommen und ist heute eines seiner bekanntesten Anwesen.
Zum Haus gehören auch ein schöner Garten sowie ein riesiger Park, der den Londonern heute als Naherholungsgebiet dient.
Jetzt wird es aber doch Zeit, zum Flughafen zu fahren. Nun ist die Zeit zum Abschied gekommen. Mein Reifen hat übrigens die ganze Fahrt über keine Probleme mehr bereitet, doch jetzt muss das Ganze ja noch begutachtet werden.
Die Autoabgabe wird dann auch, aufgrund meines Schadens, doch etwas aufwendiger. Die Dame bei der Abgabe inspiziert zuerst Reifen und Felge und bittet mich dann ins Büro. Dort nimmt sie ein Protokoll auf und füllt mehrere Formulare aus. Danach zieht sie mir 180 Pfund von meiner Kaution für den Schaden ab. Dann ist alles erledigt und ich kann mit dem Shuttle zum Terminal fahren.
Das Geld habe ich übrigens später anstandslos von FTI zurückbekommen, über die ich das Auto gebucht habe. Zur Buchung gehörte die Rückerstattung eventuell anfallender Selbstbehalte bei Schäden und das hat super und schnell geklappt.
Schließlich bin ich wieder im Terminal 2, dem Queen’s Terminal, wo die Germanwings nach Berlin startet. Die Sicherheitskontrolle geht sehr schnell, sodass ich noch etwas Zeit zum Bummeln habe, bevor ich zum Gate gehe.
Kurz nach halb sieben beginnt dann das Boarding. Ich bin eine der Ersten, die in Richtung Maschine geht, doch was ist das? Die Tür ist zu, als ich am Flugzeug ankomme. Schon einige andere Passagiere stehen hier, völlig ungläubig, was denn los sei. Immer mehr Passagiere drängen sich hinter uns, doch die Tür bleibt zu. Einige Geschäftsleute machen Fotos, denn sowas ist anscheinend selbst für sie nicht alltäglich und so mache ich auch schnell ein Foto.
Irgendwann geht die Tür dann aber doch auf und wir dürfen einsteigen. Fast pünktlichen docken wir am Gate ab und fahren zu Landebahn. Draußen sind Flugzeuge aus aller Welt zu sehen. Das ist immer wieder Klasse hier in Heathrow. So viele verschiedene Airlines sieht man an kaum einem anderen Flughafen in Europa.
Und dann entdecke ich sie, eine weitere Concorde. Dass diese Maschine hier ist, wusste ich schon lange, aber bewusst gesehen habe ich sie irgendwie noch nie. Anscheinend habe ich immer auf der falschen Seite gesessen. Diese Concorde steht hier in Heathrow, seitdem die Flüge eingestellt wurden. G‑BOAB flog zum ersten Mal am 18. Mai 1976 und zum letzten Mal, nach 22.296 Flugstunden, am 15. August 2000. Sie ist eine der Maschinen, die nach dem Unglück in Paris nicht mehr umgebaut wurden und deshalb für immer am Boden blieben.
Schließlich erreichen wir die Startbahn, oder zumindest eine Warteposition davor. Meine Güte ist hier ein Betrieb und das am Sonntagabend. Das kann ja dauern, wenn man diese Schlangen hier sieht.
Nach dem Take-off verrät uns der Pilot, dass wir mit 63 Tonnen Startgewicht abgehoben haben und nur 1:20 Stunden nach Berlin brauchen werden. Der Take-off findet übrigens direkt über Windsor Castle statt, doch ein Foto gelingt mir nicht. Nur einen letzten Blick auf Heathrow sowie die unmittelbare Umgebung kann ich noch schnell mit der Kamera festhalten.
Unterwegs durchfliegen wird ein Starkwindfeld mit Böen von bis zu 150 km/h, was den Flug etwas ruckelig werden lässt. Durch den Wind landen wir schließlich auch Richtung Osten, was in Tegel seltener vorkommt, als die Landung Richtung Westen und setzen schließlich auf der Runway 08 bei 24 Grad Außentemperatur auf. Andocken tun wir dann am Gate A14, wo früher die USA Flüge von United starteten. Ein netter Abschluss einer schönen Reise.
Meilen: 48
Wetter: 15–22 Grad – sonnig, später bedeckt