Tag 3: Samstag, 8. Juli 2023
Von Handel und Seefahrt – Harlingen – Teil 2
„Wege entstehen dadurch, dass man sie geht.“ – Erich Kästner
Ich setze meinen Rundgang durch Harlingen fort und tauche tiefer in die Stadt ein. So viele Grachten wie in anderen holländischen Städten gibt es in Harlingen zwar nicht, aber die Stadt ist dennoch von einigen kleinen Wasserstraßen durchzogen, über die man in die verschiedenen Hafenbecken gelangt.
Umso weiter ich mich vom Hafen und vom Stadtzentrum entferne, desto mehr tauche ich in die idyllischen Wohnviertel der Stadt ein. Im nachmittäglichen Sonnenschein macht es Spaß, sich einfach durch die Straßen treiben zu lassen.
Mitten in einem dieser Wohnviertel steht die Grote Kerk, die große Kirche, ein evangelisches Gotteshaus, das zwischen 1772 und 1775 errichtet wurde. Es gab jedoch schon zuvor eine alte romanische Kirche, die für den Neubau abgerissen wurden. Nur der Turm blieb erhalten und wurde an die neue Kirche angefügt.
Als ich die Kirche erreiche, werde ich jedoch von einer Gruppe von der MS Hamburg eingeholt, die auf einer Stadtführung unterwegs ist. Dazu findet in dem Gotteshaus noch eine Veranstaltung statt, sodass ich nur bedingt fotografieren kann.
Immerhin kann ich noch die schöne Orgel im Bild festhalten, die 1776 über der Kanzel erbaut wurde, und über zwei Manuale sowie 34 Register verfügt.
Von der großen Kirche setze ich meinen Sparziergang durch Harlingen fort. Zunächst schlage ich den Weg nach Osten ein, denn ich möchte noch einige der Schleusen sowie das alte Rathaus anschauen.
Unterwegs treffe ich auf einen Bruder von Herbie, meinem treuen Begleiter seit inzwischen zwanzig Jahre, mit dem ich zuletzt in Schleswig-Holstein unterwegs war.
Ich folge inzwischen einer der Grachten, die sich durch die Stadt zieht, und an beiden Seiten von Wohnhäusern gesäumt ist. Friedlich ist es hier und nur ab und zu fährt ein Auto vorbei. Ansonsten scheint hier nicht viel los zu sein an diesem schönen Sommertag. Die kleine Skulptur eines Mannes auf dem Motorrad ehrt übrigens Rikus Attema, einen Lokaljournalisten, der zwischen 1952 und 1978 als Stadtreporter für den Harlinger Courant tätig war und ständig mit dem Motorrad auf der Suche nach neuen Geschichten durch die Stadt fuhr.
Schließlich erreiche ich den Rommelhaven, in dem einige Hausboote vertäut sind. Von hier ist es nicht mehr weit bis zu den Schleusen, die aus den Grachten in den Nordhafen führen. Die kleinen Schleusentore werden ausschließlich per Hand betrieben und über die Tore führen kleine Fußgängerbrücken.
Auch die Rathausbrücke ist im Prinzip eine Schleuse, nur dass es hier über den Schleusentoren eine richtige Brücke gibt, über die auch Autos fahren können. Flankiert wird sie von Löwen, die das Stadtwappen von Harlingen halten. Die etwas seltsam anmutenden Wappentieren stehen schon seit mehr als dreihundert Jahren an dieser Stelle.
Nachdem ich die Brücke überquert habe, stehe ich vor dem Hauptportal des alten Rathauses aus dem 18. Jahrhundert, auf dessen Rückseite sich der noch ältere Glockenturm befunden hat. Wie schon erwähnt, ist am späten Nachmittag leider geschlossen, sodass ich nur von außen schauen kann.
Nach einem letzten Blick auf den Nordhafen, der heute vor allem von Jachten und Sportbooten genutzt wird, durchquere ich noch einmal das kleine Zentrum von Harlingen.
Schon nach wenigen Minuten Fußmarsch erreiche ich das südliche Ende des Südhafens, wo sich die St. Michael Kirche befindet. Die römisch-katholische Backstein-Basilika wurde 1881 im neugotischen Stil fertiggestellt, nachdem sich lange nach der Reformation wieder eine katholische Gemeinde in der Stadt angesiedelt hatte.
Im Zweiten Weltkrieg wurde die Kirche so stark beschädigt, dass ihr Abriss erwogen wurde. Das konnte zum Glück jedoch verhindert werden und nach sieben Jahren Wiederaufbau konnte wieder Gottesdienst gefeiert werden. Das dreischiffige Kirchenschiff ist beeindruckend und die Deckenkonstruktion folgt ganz dem gotischen Vorbild eines Kreuzrippengewölbes.
Zum Glück ist es hier auch gerade ziemlich leer, sodass ich mich in Ruhe umsehen und auch fotografieren kann.
Mein Weg führt mich jetzt über eine weitere Schleuse, die dieses Mal die Rosengracht mit dem Südhafen verbindet.
Von hier ist es nicht mehr weit bis zum Meer, wo auf einem Deich am Strand von Harlingen „De Stenen Man” zu finden ist. Ursprünglich wurde die Stele bereits 1576 hier errichtet, aber später zerstört. Um das Jahr 1774 ließ Dijkgraaf Carel George van Wassenaer Obdam jedoch auf eigene Kosten eine Kopie erstellen und auf den alten Fundamenten aufstellen. Die Stele hatte aber auch eine Funktion, denn sie trennte zwei unterschiedliche Bereiche des Deiches, für dessen Wartung verschiedene Stellen zuständig waren.
Gleich hinter dem Deich befinden sich der Strand und das Wattenmeer, das hier auch zum Baden einlädt. Bei Ebbe kann man aber eher im Wasser waten, denn schwimmen.
Vom Strand schlage ich den Weg zum neuen Wilhelmshafen ein. Hier liegt seit mehr als 15 Jahren das Lightship Jenni Baynton. Das Schiff wurde 1949 in Devon für die englische Trinity House gebaut und war bis 1991 im Einsatz, bevor es nach Rotterdam verkauft wurde und dort für zehn Jahre als Disco betrieben wurde. Im Jahr 2005 kam das Schiff schließlich nach Harlingen, wo es umfassend saniert wurde. Anschließend richtete Radio Waddenzee hier ein Studio ein, das bis 2015 regelmäßig betrieben wurde. Inzwischen werden auch andere Funktionen für das Schiff gesucht, da die Radiosendungen inzwischen weniger gehört werden.
Ebenfalls im Hafenbecken zu finden ist dieser Pottwal. Harlingen war einst ein Zentrum des Walfangs, heute stranden die großen Säuger aber höchstens noch am Strand. Dieser Wal ist lebensgroß und seine Fontäne kann auch Wasser versprühen. Geschaffen wurde der 18 Meter lange Wal im originalgetreuen Maßstab von einem puertoricanischen Künstlerehepaar.
Ich folge nun dem Südpier weiter und kann von hier auch einen schönen Blick auf die MS Hamburg werfen.
Im Wilhelmshafen liegt auch das zweite Flusskreuzfahrtschiff, das ebenfalls von Plantours betrieben wird. Die Sans Souci ist regelmäßig in holländischen Gewässern unterwegs.
Um zum Schiff zu kommen, muss ich allerdings den ganzen Südpier wieder zurücklaufen und dann durch die Docks weiterlaufen.
Zurück an Bord geht es für mich heute in den Palmgarten zum Abendessen, da ich anschließend das Auslaufen beobachten möchte. Das ist hier in Harlingen auch wieder ganz spannend, denn wir müssen nicht nur aus dem engen Hafen heraus, sondern hier auch noch drehen. Das klappt wieder nur mit der Hilfe der zwei Schlepper.
Zunächst verlassen wir nur den Pier und dabei kann ich noch einen schönen Blick auf den alten Hafenkran werfen, der inzwischen ebenfalls zu einem ungewöhnlichen Hotelzimmer umgebaut wurde.
Dann aber wird es spannend, denn wir müssen drehen. Und das ist im Hafen gar nicht mal so einfach. Sowohl am Bug als auch am Heck haben wir teilweise nur wenige Meter Platz. Es ist interessant zu beobachten, wie das Schiff hier herausmanövriert wird.
Natürlich schaffen wir das Auslaufen mit Bravour und können dann wieder Fahrt aufnehmen durch das Wattermeer. Eigentlich wäre es so auch nicht weit zu unserem nächsten Ziel, doch die Gezeiten sind im Wattenmeer zu groß für die MS Hamburg. Bei Ebbe können wir hier nicht fahren, sodass das Schiff wieder hinaus auf die Nordsee muss.
Erst einmal verabschieden sich aber die Schlepper von uns, denn nachdem wir das Hafenbecken verlassen haben, haben sie ihre Aufgabe erfüllt und können zurück zum Hafen fahren.
Wir sind jedoch nicht allein abgefahren. Hinter uns taucht ziemlich schnell eine Fähre nach Terschelling auf, die uns zunächst zu verfolgen scheint.
Kurze Zeit später setzt sie jedoch zum Überholmanöver an, denn wir fahren anscheinend zu langsam für den straffen Fahrplan der Fähre. Das ist schon interessant, denn man sieht es eher selten, dass sich zwei größere Schiffe derart dicht überholen.
Während die Fähre weiter nach Terschelling fährt, umrundet die MS Hamburg Vlieland, um wieder in die Fahrrinne auf der Nordsee zu kommen. Hier ist das Wasser für ein Schiff dieser Größe auch bei Ebbe tief genug.
Als ich am Abend auf meine Kabine gehe, kann ich aus dem Fenster noch immer die Insel Vlieland sehen, die zu den westfriesischen Inseln gehört.
In der Nacht werden wir auch noch an Texel vorbeifahren, um unser nächstes Ziel Den Helder zu erreichen, doch davon erzähle ich im nächsten Kapitel.
Wetter: heiter, 18–31 Grad
Seemeilen: 215