Tag 3: Samstag, 8. Juli 2023
Von Handel und Seefahrt – Harlingen – Teil 1
„Die Leidenschaft des Reisens ist das weiseste Laster, welches die Erde kennt.“ – Bruno H. Bürgel
Als ich heute aufwache und mein Rollo hochziehe, schaue ich aufs Meer hinaus. Wir sind auf hoher See, denn unseren ersten Hafen erreichen wir erst am Nachmittag.
Für mich geht es zunächst zum Frühstück, das ich im Palmgarten einnehme. Hier bediene ich mich am Buffet und lasse mir ein frisch zubereitetes Omelette schmecken.
Anschließend genieße ich die frische Seeluft und erkunde ein wenig das Schiff. Besonders das kleine Aussichtsdeck am Bug vor dem Palmgarten gefällt mir sehr gut, denn von hier habe ich einen ungehinderten Blick auf die See. Gerade diesen Blick schätze ich sehr und auf vielen neuen Schiffen ist das kaum noch möglich, da sich am Bug Kabinen oder andere Einrichtungen befinden oder der Ausblick oft nur noch durch Glasscheiben möglich ist.
In den Treppenhäusern der MS Hamburg schaue ich mir die vielen Hochglanzfotos an, die das Schiff auf seinen Reisen rund um den Globus zeigen. Besonders die Bilder aus der Antarktis haben es mir angetan, denn das ist ein Ziel, das ich auch noch gerne bereisen würde.
Auf einem anderen Deck hängen dagegen die Plaketten der Erstanläufe, die das Schiff in seinem Leben so gesammelt hat. Und da die Hamburg regelmäßig um die ganze Welt fährt, sind das ganz schön viele, darunter auch von sehr exotischen Orten.
Gegen Mittag zieht es mich aber wieder an Deck, wo nicht nur die Sonne scheint, sondern inzwischen auch Land zu sehen ist. Die ersten der Westfriesischen Inseln sind am Horizont zu erkennen.
Auf dem Pooldeck wird derweil fleißig gekocht und gebraten. Der Lunch wird heute Open Air serviert, bei diesem fantastischen Sommerwetter auch eine tolle Idee.
Am frühen Nachmittag durchfahren wir die Meerenge zwischen den Inseln Vlieland und Terschelling, um das Wattenmeer zu durchqueren und schließlich Harlingen zu erreichen, unseren ersten Hafen in den Niederlanden. Hier im flachen Wasser des Wattenmeeres sind wir auch nicht mehr allein unterwegs. Immer wieder kreuzen größere und kleinere Boote unseren Kurs.
Vom Bug aus ist in der Ferne bereits Harlingen zu sehen. Die Kleinstadt liegt direkt am Wattenmeer und ist ein beliebter Anlaufpunkt für Freizeitkapitäne. Gegründet wurde Harlingen, das übrigens nichts mit dem ostfriesischen Landstrich zu tun hat, sondern vermutlich nach einem Herrensitz benannt wurde, bereits im Mittelalter. Schon 1234 wurde das Stadtrecht verliehen, doch der ehemals weiter westlich gelegene Ort wurde mehr und mehr vom Meer verschluckt, sodass man ihn an die heutige Stelle verlagerte. Es wurde ein großer Hafen gebaut, der auch heute noch von Bedeutung ist, nicht nur, weil hier die Fähren zu einigen der westfriesischen Inseln ablegen.
So groß der Hafen für damalige Verhältnisse auch gewesen ist, für ein Kreuzfahrtschiff ist er es definitiv nicht. Selbst die kleine Hamburg mit ihren nur 144 Metern Länge und 21 Metern Breite wirkt auf einmal riesengroß. Es ist dann auch gar nicht so einfach, in den Hafen einzulaufen. Überhaupt ist das nur durch die Unterstützung von zwei Schleppern möglich, denn ansonsten würde die Hamburg die scharfen Kurven wohl kaum bewältigen können.
Deshalb gibt es auch nur wenige Kreuzfahrtschiffe, die Harlingen pro Jahr anlaufen. Und jeder Anlauf ist anscheinend eine Attraktion, denn so einige Einwohner beobachten das Manöver genauso gespannt von Land wie wir an Bord.
Ich muss sagen, ich bin ja schon in einigen Häfen gewesen, aber so ein kleines Hafenbecken mit einem Kreuzfahrtschiff anzufahren, das ist für mich auch neu. Sowas ist aber auch nur mit kleineren Schiffen möglich, was ja einer der Vorzüge der MS Hamburg ist.
Normalerweise wird Harlingen übrigens eher von Flusskreuzfahrtschiffen angelaufen. Auch am heutigen Tag haben zwei dieser Schiffe hier festgemacht, wobei eines sogar ebenfalls von Plantours betrieben wird. Dieses Schiff ist die River Diamond, die unter Schweizer Flagge fährt und mit ihren 133 Metern Länge sogar fast so lang wie die MS Hamburg ist.
Die letzten Meter bis zum Pier geht es nur ganz langsam voran. Mit Unterstützung der Schlepper meistert die MS Hamburg jedoch auch diese letzte Hürde und so können wir wenig später in Harlingen festmachen.
Als erstes Bauwerk der Stadt empfängt uns der Leuchtturm, der allerdings bereits 1998 nach einem dreiviertel Jahrhundert Dienst außer Betrieb ist. Heute ist er jedoch schick renoviert und beherbergt in der Spitze ein ganz besonderes Hotelzimmer. Für maximal zwei Gäste bietet der Turm eine tolle Aussicht und eine einzigartige Übernachtungsmöglichkeit.
Mit einem letzten Blick voraus über den Bug mache ich mich jetzt erst einmal auf an Land. Schließlich will ich die Zeit nutzen und ein wenig von Harlingen sehen. Alternativ hätte ich auch einen Ausflug nach Leeuwarden buchen können, habe mich aber heute dagegen entschieden, da sonst keine Zeit mehr für Harlingen geblieben wäre.
An Land schaue ich mir zum ersten Mal die MS Hamburg aus der Nähe an. Solche Chancen muss man immer nutzen, denn aus Erfahrung weiß ich bereits, dass das nicht immer in jedem Hafen möglich ist.
Anschließend verlasse ich den gesicherten Bereich des Hafens durch das kleine Hafenterminal, in dem ich von Mitarbeitern des Tourismusbüros freundlich empfangen werde. Neben einem Stadtplan erhalte ich auch eine typische Stroopwafel, bevor ich meinen Stadtrundgang starte. Vor dem Gebäude entdecke ich dieses historische Segelschiff, das wunderbar in die Zeit vor fünfhundert Jahren passen würde.
Um vom Hafen in die Stadt zu gelangen, muss sich zunächst den Deich überqueren, der die Stadt heute vor Sturmfluten schützt.
Hinter dem Deich gehe ich geradewegs auf den Leuchtturm zu. Mich würde ja schon mal interessieren, wie das Hotelzimmer dort oben so aussieht, aber besichtigen kann man das leider nicht.
Hübsch anzusehen ist auch das Gebäude der Hafenbehörde, das ich aber links liegenlasse, um der Straße weiter in die Stadt zu folgen.
Auf dem Weg komme ich am ehemaligen Amtsgericht vorbei, das 1884 erbaut wurde. Heute beherbergt das historische Gebäude allerdings ein Restaurant.
Von einer kleinen Brücke habe ich einen schönen Blick auf den Zuiderhaven, den Südhafen. Von 1645 bis 1795 war er das Bollwerk der friesischen Admiralität. Hier wurden alle Schiffe ausgerüstet und bemannt. Dazu gab es ganze vier Werften, die neue Schiffe für die Flotte erbauten. Diese Zeit war auch die Blütezeit von Harlingen, das zu jener Zeit einer der bedeutendsten Orte in den Niederlanden war.
Einige der Gebäude aus jener Zeit sind auch heute noch erhalten. „De Blauwe Hand” am Grote Bredeplaats (rechts im Bild) ist eines dieser Häuser. Ursprünglich 1647 als Lagerhaus erbaut, wurde es wunderschön restauriert und dient heute ebenfalls als Restaurant.
Mitten in der Haupteinkaufsstraße von Harlingen liegt auch ein Kaufmannshaus aus dem 18. Jahrhundert, das inzwischen zu einem Museum umgewandelt wurde. Das Hannemahuis war sogar eines der ersten Häuser in der Harlinger Innenstadt und Teile stammen bereits aus dem 16. Jahrhundert. Bewohnt wurde es lange Zeit von der Familie Scheltema, deren Tochter Lijsbet im Jahr 1743 Sjoerd Hannema heirate, von dessen Familie das Haus den heutigen Namen erhalten hat.
Ich zahle fünf Euro Eintritt und kann dann auf eigene Faust in die Geschichte von Harlingen eintauchen, die hier in verschiedenen Räumen und auf zwei Etagen erzählt wird. Das Museum wurde übrigens 1957 noch von der Familie Hannema gegründet und erst 1964 an die Stadt übertragen.
Es ist faszinierend anzuschauen, was es alles in Harlingen gegeben hat. So wurden einst Silberschmieden in der Stadt betrieben, in denen wunderschöne Kunstwerke geschaffen wurden. Ebenso zu sehen ist kostbares Porzellan.
Zum Haus gehört auch ein kleiner Garten, der von den angrenzenden Häusern komplett umschlossen ist und somit abgeschirmt vom Lärm und Trubel der Einkaufsstraße.
Im Museum gibt es aber nicht nur eine Dauerausstellung, sondern immer wieder Sonderausstellungen. Während meines Besuchs war das ein Porträt von Isaac Abraham Massa und Beatrix van de Laen, obwohl, so ganz sicher ist es nicht mal, dass das die beiden auf dem Gemälde sind – es wird aber angenommen. Was aber viel interessanter ist, das Gemälde stammt vom berühmten niederländischen Maler Frans Hals, der zwischen 1582 und 1666 lebte und zu den bedeutendsten Porträtmalern seiner Zeit gehört. Was jedoch dieses Gemälde so besonders macht, es ist das einzige bekannte Werk des Malers, das ein Paar zeigt. Der wohlhabende Kaufmann Massa konnte es sich wohl leisten, einen Maler für sein Hochzeitsbild zu beauftragen.
Neben dem wertvollen Gemälde, das normalerweise im Rijksmuseum in Amsterdam zu sehen ist, sind noch weitere Ausstellungsstücke zu sehen. Darunter befinden sich typische Hochzeitsgewänder aus der damaligen Zeit sowie ein Hochzeitskelch, der einem Paar gehörte, das 1691 in Harlingen vermählt wurde.
Nach diesem kleinen Ausflug in die Welt der Hochzeitstraditionen wende ich mich wieder der Dauerausstellung des Museums zu. Die beschäftigt sich natürlich auch ausführlich mit dem maritimen Erbe der Stadt, dessen Zentrum einst der Zuiderhaven war. So werden in einem Raum Gemälde gezeigt, auf denen Hafen und Stadt zu sehen sind, sowie Modelle verschiedener Schiffstypen, die im Hafen beheimatet waren.
Besonders interessant finde ich die Ausstellung zur Harlinger Keramik. Die Firma Harlinger Fliesen und Fayence, die bereits seit 1598 produziert, ist inzwischen der letzte Betrieb in den Niederlanden, der auf ursprüngliche Art und Weise Keramik und Fliesen herstellt. Das bedeutet, dass die Produkte mittels der Zinnglasurtechnik komplett mit der Hand hergestellt werden.
International wird diese Technik übrigens als Delftware bezeichnet und ist auch an den königlichen Höfen sowie in vielen Herrenhäusern und Schlössern in ganz Europa zu finden.
Im Museum zu sehen gibt es aber auch Möbel, Gemälde, Standuhren und vieles mehr, das aus den Kaufmannshäusern der Stadt zusammengetragen wurde.
Zurück auf der Straße höre ich ein Glockenspiel, dessen Ursprung ich auf diesem Turm ausmachen kann. Der Turm gehört aber nicht zu einer Kirche, sondern befindet sich an der Rückseite des historischen Rathauses und wurde bereits im 16. Jahrhundert erbaut, während der Rest des Gebäudes erst 1730 angefügt wurde. Die Vorderseite des Hauses werde ich später noch anschauen können, hinein kann ich heute aber leider nicht.
Inzwischen habe ich schon ein ganzes Stück Weg zurückgelegt, sodass es Zeit ist für eine Pause. Die lege ich in einem der vielen Cafés in der Innenstadt ein, bevor ich meine Stadtbesichtigung fortsetzen.