Tag 13: Montag, 31. Oktober 2022
Neuland – Canet-en-Roussillon nach Andorra La Vella – Teil 2
„Kümmere dich nicht um die Schlaglöcher in der Straße und zelebriere die Reise.” (Fitzhugh Mullan)
Über die Nationalstraße 116 verlassen wir Perpignan und machen uns auf den Weg nach Westen, hinein in die Pyrenäen. Die Bergkette, die die iberische Halbinsel vom Rest Europas trennt, haben weder C. noch ich bisher besucht und so freuen wir uns beide auf interessantes Neuland, auch wenn wir auf dieser Reise nur einen kleinen Teil des mächtigen Gebirges besuchen werden. Die gesamte Kette erstreckt sich über mehr als 430 Kilometer und die Gipfel sind bis zu 3.400 Meter hoch.
An der Mittelmeerküste beginnen die Ausläufer der Pyrenäen jedoch zunächst eher lieblich. Wir folgen meist einem Talverlauf und zu beiden Seiten erheben sich bewaldete Berge. Nach einer knappen Stunde Fahrt erreichen wir unser erstes Etappenziel, das Örtchen Villefranche-de-Conflent, das zu den schönsten Dörfern Frankreichs zählt.
Villefranche-de-Conflent liegt am nördlichen Fuß des Pic du Canigou, des östlichsten markanten Pyrenäengipfels, der immerhin fast 2.800 Meter hoch ist und lange Zeit als der höchste Berg Kataloniens galt. Der Ort wurde 1092 im Tal des Flusses Têt gegründet und hatte von jeher militärische Bedeutung. Die ältesten Befestigungsanlagen stammen bereits aus dem 11. und 12. Jahrhundert, die mächtigen Bastionen wurden allerdings erst im 17. Jahrhundert errichtet. Der Ausbau erfolgte aufgrund der Pyrenäenfriedens und der Spaltung von Katalonien in einen spanischen sowie einen französischen Teil.
Hoch über dem Ort liegt das Fort Libéria. Die Festung wurde 1681 erbaut und ist durch das „Souterrain des «1000 Marches»“ (Untergeschoss der „1000 Stufen“) mit der Stadt verbunden. Noch heute führt der Weg auf die Festung über den unterirdischen Gang, der allerdings nur über 734 Stufen verfügt. Die Festung wurde übrigens vom berühmten Festungsbauer Vauban errichtet, dessen Werke inzwischen zum UNESCO-Weltkulturerbe gehören.
Wir haben Glück und ergattern einen Parkplatz direkt neben der Stadtmauer, sodass wir nur wenige Meter bis zu einem der Stadttore laufen müssen. Die Stadtmauer ist noch heute vollständig aus dem 12. Jahrhundert erhalten, wurde aber im 17. Jahrhundert erhöht und ausgebaut.
Der kleine Ort innerhalb der Mauern verfügt über historische Gebäude, enge Gassen und kleine Geschäfte. Nur zwei Straßenzüge führen durch den Ort, der in den letzten fünfzig Jahren etwa die Hälfte seiner Bevölkerung verloren hat. Heute leben nur noch rund zweihundert Menschen in Villefranche-de-Conflent, die meisten von ihnen vom Tourismus.
Sant Jaume de Vilafranca de Conflent ist die Pfarrkirche des Örtchens, die erstmalig 1095 erwähnt wurde. Der heutige Bau stammt allerdings größtenteils aus dem 12. Jahrhundert.
Wir bummeln noch ein wenig durch die Stadt und lassen und durch die Gassen treiben, deren Geschäfte teilweise für das anstehende Halloweenfest geschmückt sind.
Nach rund einer Stunde sind wir zurück am Parkplatz und fahren weiter. Die Zeit drängt doch etwas, denn es ist bereits nach 14 Uhr und wir haben noch ein ganzes Stück Fahrt vor uns. Das hält uns allerdings nicht davon ab, einen kurzen Stopp an der Pont Séjourné einzulegen. Das als Bogenbrücke erbaute Eisenbahnviadukt ist 217 Meter lang und wurde zwischen 1907 und 1908 erbaut. Es gibt mehrere dieser Brücken auf der Strecke, doch nur durch diese führt unser Weg direkt.
Wir wollen gerade weiterfahren, als wir plötzlich ein Geräusch vernehmen. Einen Moment später kommt eine kleine, gelbe Bahn angefahren und die ist für sich auch eine Attraktion der Region. Die Ligne de Cerdagne wird von den Franzosen auch „Canari“ (Kanarienvogel) oder „Petit train jaune“ (Kleiner gelber Zug) genannt. Während die Normalspurbahn aus Perpignan in Villefranche-de-Conflent endet, startet dort die Schmalspurbahn, die die östlichen Pyrenäen erschließt. Die gesamte Strecke ist rund 63 Kilometer lang und eine Fahrt dauert knapp zwei Stunden. Dabei erreicht die Bahn an ihrem höchsten Punkt eine Höhe von 1592 Meter und damit auch den höchsten Punkt im Netz der französischen Eisenbahn SNCF.
Interessant ist auch, dass die kleine Bahn mittels elektrischer Traktion enorme Steigungen auf der Strecke überwindet. Heutzutage ist die Bahn vor allem im Sommer bei Touristen beliebt, im restlichen Jahr allerdings wenig frequentiert, was dazu führte, dass sie mehrmals schon fast eingestellt wurde. Inzwischen scheint die Finanzierung aber gesichert und die Ligne de Cerdagne fährt wieder wie schon vor über hundert Jahren durch die Berge.
Nach einer halben Stunde Fahrt erreichen wir unseren nächsten Zwischenstopp, das kleine Dorf Mont-Louis, das einst auch der erste Endbahnhof der Ligne de Cerdagne war. Mont-Louis verfügt über eine weitere Festungsanlage von Vauban, ist aber lange nicht so touristisch erschlossen wie Villefranche-de-Conflent.
Die gewaltige Festung verfügt über mehrere Mauern und Torhäuser, die wir durchqueren müssen, um in den Ort zu kommen. Während Mont-Louis selbst schon im 12. Jahrhundert gegründet wurde, wurde der größte Teil der Festung zwischen 1681 und 1691 errichtet, abermals als Reaktion der Franzosen auf den Pyrenäenfrieden, denn die spanische Grenze befindet sich nur elf Kilometer südlich von hier.
Da der Ort nur wenig touristisch erschlossen ist, gibt es nur einige kleine Geschäfte und im Zentrum des Ortes die 1733 und 1737 erbaute Kirche. Hier ist sie sogar geöffnet, sodass wir einen Blick hineinwerfen können.
Etwas höher als die Stadt und ihre Festung gelegen, befindet sich die Zitadelle Mont-Louis, die ebenfalls von Vauban erbaut wurde und heute als sein am besten erhaltenes Bauwerk gilt. Leider können wir die Zitadelle nur von außen anschauen, denn sie wird noch heute militärisch genutzt, seit 1964 vom Centre National d’Entraînement Commando (CNEC) der französischen Streitkräfte.
Wir laufen zurück zum Auto und sind nach einer dreiviertel Stunde wieder abfahrbereit. Wir folgen weiter der Nationalstraße 116, die sich ganz langsam immer tiefer in die Pyrenäen hineinschraubt. Rechts und links der Straße erheben sich sanfte Bergketten und in dieser Höhe hat bereits der Herbst mit schöner Laubfärbung Einzug gehalten. Wahnsinn, wie in nur wenigen Stunden vom palmengesäumten Mittelmeer im Hochgebirge gelandet sind.
Schließlich erreichen wir ein kleines Kuriosum in der Region, die spanische Exklave Llívia. Der Name der Gemeinde soll bereits auf Julius Cesar zurückgehen, der dem Ort das Gemeinderecht zuerkannte. Im Jahr 1528 verlieh Karl V. dem Ort die Stadtrechte und das sollte knapp 150 Jahre große Bedeutung bekommen. Während der Pyrenäenfrieden von 1659 festlegte, dass alle 33 Dörfer des Ostteils der Cerdanya an Frankreich fallen sollten, berief sich Llívia auf eben diese Stadtrechte und verblieb so bei Spanien.
Lange halten wir uns in Llívia nicht auf und fahren weiter auf die Nationalstraße 20, die uns durch das Dörfchen Querol führt, das bereits 1011 erstmalig urkundlich erwähnt wurde. Mitten im Ort steht die Ruine einer Burg, die wir uns genauer anschauen wollen. Die Anlage wurde 1243 erstmalig erwähnt und bereits im 17. Jahrhundert zerstört.
Von der Burg haben wir einen wunderschönen Blick in das Tal und können hier auch das Carol-Viaduct erkennen, eine weitere 158 Meter lange Rundbogenbrücke für die Eisenbahn, die 1912 für die Bahnlinie nach Toulouse erbaut wurde.
Die Fahrt führt uns nun immer weiter ins Hochgebirge. Langsam werden die Bäume weniger und die Landschaft karger. Schade nur, dass sich auch der Himmel immer mehr zuzieht und die Sonne jetzt gänzlich von den Wolken verschluckt wird.
Wir erreichen nun einen der Punkte der Straße, wo wir die Qual der Wahl haben. Entweder nehmen wir den schnelleren, mautpflichtigen Tunnel oder die schönere, langsamere Fahrt über die Pass-Straße. Trotz fortgeschrittener Stunde entscheiden wir uns für letzteres, denn wir wollen schließlich etwas sehen. Und so führt uns die Fahrt auf den 1915 Meter hohen Puymorens Pass.
In zahlreichen Serpentinen schraubt sich die Straße hier immer höher in die Berge. Unser Fiat meistert die Strecke aber problemlos. Da haben wir dieses Mal einen guten Mietwagen bekommen.
Der Puymorens Pass war bis zum Pyrenäenfrieden die Grenze zwischen Frankreich und Katalonien und war schon im 18. Jahrhundert eine viel genutzte Strecke. Auch die Tour de France führte schon mehrmals über die Pass-Straße, die seit der Tunneleröffnung 1994 allerdings nur noch eine Nebenstrecke ist.
Hinter dem Pass wird die Landschaft noch karger. Wir sind im Hochgebirge angekommen. Teilweise ist die Strecke fast schon einsam, nur wenige Autos sind hier unterwegs. Leider können wir nur sehr selten halten, um die tolle Landschaft zu genießen, denn Parkbuchten sind an der Strecke Mangelware.
Als wir die Kreuzung von N20 und N22 erreichen, können wir dagegen unseren Augen kaum trauen. Plötzlich schiebt sich hier eine wahre Blechlawine durch die Landschaft. Mitten im Hochgebirge. Wir fragen uns, wo die ganzen Autos herkommen und wo sie alle hinwollen. Zum Glück staut sich der Verkehr nicht in unsere Fahrtrichtung, sodass wir weiterhin gut vorankommen.
Kurze Zeit später wird uns klar, was hier los ist. Wir erreichen die Grenze zwischen Frankreich und Andorra, einem der Zwergstaaten Europas, der mitten in den Pyrenäen liegt. Und Andorra ist für Franzosen und Spanier ein Einkaufsparadies. Vieles ist steuerfrei und dazu gibt es Hotels sowie ein großes Freizeitangebot. Die Blechlawine schiebt sich wohl des Öfteren abends durch die Berge auf der Strecke von Andorra hinunter in die Großstadt Toulouse. Wir aber lassen den Verkehr abermals hinter uns, als wir uns gegen einen weiteren Tunnel und für die zweite Pass-Straße des Tages entscheiden.
Dieses Mal schraubt sich die Straße auf über zweitausend Meter Höhe, genauer gesagt fahren wir über den 2408 Meter hohen Port d’Envalira, die höchste Pass-Straße der Pyrenäen. Die Straße hat übrigens keine Wintersperre und ist somit auch der höchste ganzjährig befahrbare Pass Europas.
Noch Anfang des 20. Jahrhunderts existierte hier nur ein einfacher Wirtschaftsweg für den Lastentransport mit Eseln und Pferden zwischen Frankreich und Andorra, doch bereits 1931 wurde eine erste Straße über den Pass gebaut. Durchgehend asphaltiert wurde die Straße allerdings erst in den 1960er Jahren. Mit dem Bau eines ersten Skiliftes 1957 wurde die Straße jedoch bereits ganzjährig geräumt und so befahrbar gehalten. Dazu sind teilweise riesige Schneefräsen im Einsatz, die man am Straßenrand auch stehen sieht.
Von einem Aussichtspunkt haben wir einen Blick auf den ersten Ort in Andorra, Pas de la Casa. Der Ort entwickelte sich aus einem Haltepunkt mit Berghütte an der Pass-Straße und 1933 wurde ein Zollhaus zwischen Frankreich und dem Fürstentum Andorra erbaut. Bereits zwischen 1945 und 1950 wurde eine Straßenzeile von Holzbaracken für den Verkauf von aus Spanien importierten Lebensmitteln und Bedarfsartikeln errichtet, für die es in Frankreich in den Nachkriegsjahren eine große Nachfrage gab. Mit dem Start des Skitourismus wuchs der Ort unaufhörlich und hat heute rund 1.800 Einwohner.
Von nahem sieht Pas de la Casa allerdings nicht sehr idyllisch aus. Es reihen sich vor allem Hotels, Geschäfte, Tankstellen und Parkgaragen aneinander, denn Shoppen in Andorra ist steuerfrei und so kommen vor allem Tagestouristen aus Frankreich zum Einkaufen hierher. So bleibt ihnen die weitere Fahrt nach Andorra la Vella erspart. Dazu gibt es vor allem im Winter viel Skitourismus.
Wir fahren lieber zügig weiter, denn ansprechen tut uns hier nichts. Noch eine gute halbe Stunde folgen wir der CG‑2 und durchqueren dabei fast zwei Drittel von Andorra, bis wir die Hauptstadt erreichen. Inzwischen ist es schon fast wieder dunkel geworden. Aber es ist ja auch Herbst und dementsprechend früh geht die Sonne bereits unter. Wir fahren deshalb auf direktem Weg ins Hotel und das ist gar nicht so einfach, denn Andorra la Vella verfügt über ein bemerkenswert verwirrendes Netz von engen Gassen und Einbahnstraßen. Mithilfe der Naviapp erreichen wir aber doch sehr gut das Hotel und stellen unser Auto in der angeschlossenen Parkgarage ab. Die ist übrigens ein kleines Abenteuer für sich, sehr eng und ziemlich dunkel. Und natürlich gibt es für uns nur noch einen Parkplatz im obersten Stockwerk.
Unser Hotel für diese Nacht ist das NH Hotel Andorra la Vella, das sich ziemlich im Stadtzentrum befindet. Die Wahl eines Hotels fiel uns hier gar nicht so leicht, denn es gibt nur wenige Stadthotels, da man vor allem auf Skifahrer und Shopping eingestellt ist. Wir aber wollen etwas von Andorra la Vella sehen und dazu möglichst zentral wohnen.
Nach unserer Ankunft im Hotel beginnt es leider etwas zu regnen, sodass wir zunächst beschließen, auf dem Zimmer zu bleiben. Als der Regen nachlässt, zieht es mich aber doch noch in die Stadt. C. mag nicht mehr mitkommen und bleibt auf ihrem Zimmer. Ich aber laufe los, um noch ein wenig von Andorra la Vella zu erkunden.
Andorra la Vella ist katalanisch und bedeutet so viel wie „Andorra-das-Dorf“. Katalanisch ist übrigens auch die Amtssprache in Andorra und damit ist das Fürstentum das einzige Land der Welt, in dem Katalanisch Amtssprache ist. Mit knapp 25.000 Einwohnern ist Andorra la Vella die größte Stadt von Andorra und auf einer Höhe von 1.013 Metern zugleich die höchstgelegene Hauptstadt Europas. Die Stadt selbst ist alt und wurde wahrscheinlich schon in vorchristlicher Zeit gegründet. Wann genau, ist allerdings unbekannt. In weiten Teilen des Zentrums ist von historischer Bebauung allerdings nichts zu sehen, denn in den letzten Jahrzehnten ist aus dem beschaulichen Städtchen eine Shoppingoase geworden. So sind heute ganze Straßenzüge gesäumt von Geschäften, in den alles von Fleisch bis Parfum, von Kleidung bis Handtaschen, steuerfrei verkauft wird.
Einige historische Gebäude haben sich aber doch erhalten und zu ihnen zählt die Església de Sant Esteve, deren Grundmauern bereits auf das 11. bis 12. Jahrhundert zurückgehen. Heute Abend belasse ich es bei einem Foto, denn es findet gerade eine Messe statt. Wir werden morgen nochmals hierherkommen und uns die Kirche genauer ansehen.
Ich laufe noch ein wenig durch die Straßen, doch ziemlich bald fängt es wieder zu nieseln an, sodass ich mich auf den Rückweg zum Hotel mache.
Nur einen Katzensprung von unserem Hotel entfernt entdecke ich noch die Skulptur Noblesa del temps. Das fünf Meter hohe Werk wurde vom spanischen Künstler Salvador Dalí erschaffen und ist ein beliebter Fotospot.
Gleich dahinter befindet sich die 2006 erbaute Schrägseilbrücke Pont de Paris. Leider komme ich aufgrund von Bauarbeiten nicht näher an die Brücke heran und muss mich mit einem Bild über den Fluss zufriedengeben.
Ich werfe noch einen Blick in eine angrenzende Einkaufsstraße, doch es beginnt wieder stärker zu regnen und langsam werde ich auch müde. Es war ein langer Tag und so mache ich mich nun endgültig auf den Rückweg zum Hotel.
In der Nacht schüttet es immer wieder und ich hoffe, dass der Wetterbericht für morgen recht behält. Vorhergesagt ist Sonnenschein und dazu angenehme Temperaturen. Ich bin gespannt, ob sich die Vorhersage bewahrheiten wird.
Kilometer: 187
Wetter: heiter bis wolkig, abends Schauer, 15–27 Grad
Hotel: Hotel NH Andorra La Vella