Tag 9: Donnerstag, 27. Oktober 2022
Großstadtfieber – Valencia – Teil 1
„Trudele durch die Welt. Sie ist schön, gib dich ihr hin, und sie wird sich dir geben.” (Kurt Tucholsky)
Über Nacht sind wir der Route gefolgt, die auch viele Fähren nehmen, die zwischen den Balearen und dem spanischen Festland pendeln. Das Ziel ist fast immer entweder Barcelona oder aber Valencia und letztere Stadt ist auch unser Ziel. Am frühen Morgen erreichen wir den Hafen, über dem dicke Wolken hängen. Verlässt uns jetzt etwa unser Wetterglück?
Die Sonne ist zunächst nur als kleiner Streifen in einer Wolkenlücke sichtbar. Das wird sich doch hoffentlich noch ändern, denn schlechtes Wetter brauchen wir nun wirklich nicht.
Richtung Land sieht es etwas besser aus, doch so ganz zufrieden bin ich derzeit noch nicht. Es hängt eine dünne Wolkenschicht über der Stadt. Zu allem Überfluss machen wir auch noch im Containerhafen fest, von wo wir das Schiff nicht zu Fuß verlassen können. Da braucht es ein Shuttle. Bei Azamara geht man hier aber noch einen Schritt weiter.
Wie schon in Palma de Mallorca gibt es auch in Valencia einen Shuttlebus, der alle halbe Stunde in die Stadt fährt. Von dort kann man dann zu eigenen Erkundungen aufbrechen und anschließend wieder zum Schiff zurückfahren.
Die Abfahrt klappt dann auch ganz gut und um 10 Uhr sitzen wir im Bus in Richtung Innenstadt. Unterwegs entdecken wir diese Segelschiffe an der Kaimauer.
In der Nähe der Kirche Parròquia del Salvador i de Santa Mònica werden wir abgesetzt und von hier sollen die Busse auch wieder zurück zum Schiff fahren.
Die Haltestelle befindet sich direkt am Rande des Jardín del Turia, einer der wohl ungewöhnlichsten Parkanlagen, die ich kenne. Die befindet sich nämlich im alten Flussbett des Flusses Turia, der sich bis in die 1960er Jahre mitten durch die Stadt schlängelte. Der Flussverlauf war sogar einst der Grund, warum die Römer die Stadt im Jahr 138 v. Chr. genau hier gründeten. Doch 1957 kam es zur Katastrophe, als ein Hochwasser ganze Stadtteile überflutete und viele Todesopfer forderte. Daraufhin wurde beschlossen, den Fluss umzuleiten und in den 1980er Jahren wurde das Flussbett schließlich zu einer Parkanlage umgestaltet. Was noch heute existiert, sind die zahlreichen Brücken, die den Fluss einst überquerten, darunter viele historische Exemplare.
Eine von ihnen ist die Pont dels Serrans, eine Brücke, die bereits 1518 erbaut wurde und schon damals einen Vorgängerbau ersetzte, der durch eine Flut zerstört wurde. Die neue steinerne Brücke mit ihren Rundbögen, die von Baumeister Juan Bautista Corbera errichtet wurde, konnte den Fluten jedoch standhalten. Heute darf sie nur noch von Fußgängern und Radfahrern genutzt werden.
Gleich hinter der Brücke steht die Porta dels Serrans, eine von zwei noch erhaltenen Stadttoren aus dem Mittelalter. Das Tor wurde zwischen 1392 und 1398 erbaut und war eines der Haupttore der Stadt. Benannt wurde es nach der valencianischen Provinz, aus der die meisten Besucher auf dieser Route in die Stadt kamen. Aber auch die Königswege aus Saragossa und Barcelona endeten hier.
Nachdem das Stadttor nicht mehr als solches gebraucht wurde, befand sich zwischen dem 16. und dem 19. Jahrhundert im Inneren ein Gefängnis. Aufgrund von Protesten gegen die unmenschlichen Bedingungen wurde das Zuchthaus 1888 geschlossen. Die alte Stadtmauer wurde bereits 1865 abgerissen und nach der Schließung des Gefängnisses auch der Teil abgetragen, der zur Stadt zeigte. Somit sind die fünf Räume des Stadttores seitdem zur Stadt hin offen.
Wir folgen nun der Carrer dels Serrans tiefer in die historische Innenstadt hinein. Dabei laufen wir auf den Turm von San Bartolomé zu, den einzigen erhaltenen Teil der gleichnamigen Kirche. Das Gotteshaus wurde bereits 1239 als eine der ersten zehn Kirchen der Stadt nach der Eroberung durch König Jakob I. von Aragon erbaut. Die Kirche selbst wurde im spanischen Bürgerkrieg 1936 niedergebrannt und nicht wieder aufgebaut, sodass heute nur noch der Turm erhalten ist.
Nur ein paar Meter weiter stoßen wir auf den Palau de la Generalitat Valenciana, einen historischen Palast, der heute der Hauptsitz der autonomen Gemeinschaft Valencia ist, zu der die drei Provinzen Alicante, Castellón und Valencia gehören. Das Gebäude selbst geht bereits auf das Jahr 1418 zurück und wurde einst als Zollamt errichtet. Schon wenige Jahre später wurde es aber zu einer Art Regierungsgebäude umfunktioniert und diese Funktion hat der Palast bis heute inne.
Gleich gegenüber liegt der Palast des Marqués de Castellfort, der erst 1903 vom Markgrafen von Castelfort in Auftrag gegeben wurde. In der Straße gegenüber des Regierungsgebäudes lebten traditionell viele Aristokraten. Heute wird das Gebäude ebenfalls von der Regierung genutzt.
Von Palast sind es nur noch wenige Schritte bis zu einem der großen Plätze der Stadt, der Plaça de la Mare de Déu, dem Platz der heiligen Jungfrau. Der Name kommt auch nicht von ungefähr, denn auch wenn es auf den ersten Blick nicht so aussieht, an den Platz grenzen gleich zwei Gotteshäuser.
Zunächst schauen wir uns aber noch den Turia Brunnen an, der den Fluss Turia repräsentieren soll. In der Mitte des Brunnens sitzt Neptun, der von acht nackten Frauen umgeben ist.
Eine der Kirchen, die an den Platz grenzt, ist die Basílica de la Mare de Déu dels Desemparats, die Basilika der Heiligen Jungfrau der Hilflosen. Die Kirche wurde zwischen 1642 und 1667 von Diego Martínez Ponce de Urrana erbaut und in einer Kapelle des Gotteshauses wird ein Gnadenbild der Heiligen Jungfrau der Hilflosen aufbewahrt, der Schutzpatronin von Valencia.
Seit 1948 ist die Kirche, die ursprünglich im Stil der Renaissance erbaut und über die Jahrhunderte immer wieder verändert wurde, eine Basilica minor. Die Holzfigur, die in das Altarbild eingearbeitet wurde, ist allerdings viel älter als das gesamte Bauwerk, denn sie wurde bereits 1460 geschnitzt.
Interessant ist auch das große Deckengemälde in der Innenkuppel, das 1701 von Antonio Palomino geschaffen wurde.
Die zweite Kirche am Platz ist die Kathedrale von Valencia, oder besser gesagt, deren Rückseite. Doch die ist hier fast interessanter als das Hauptportal. Das liegt jedoch weniger am Bauwerk selbst, denn an einem uralten Ritual, auf das wir eher zufällig stoßen.
Als wir zur Kathedrale kommen, wundern wir uns noch über die acht Stühle, die hier aufgestellt sind. Kurze Zeit später werden Männer kommen, die hier Platz nehmen. Doch dass wir hier einer ganz besonderen Zeremonie beiwohnen, das ist uns zu jener Zeit nicht bewusst.
Was hier vor dem Seiteneingang der Kathedrale an jedem Donnerstag um Punkt 12 Uhr stattfindet, ist das sogenannte Wassergericht von Valencia, das Tribunal de la Vega de València. Das Gericht gilt als die älteste Rechtsinstitution in Europa und einzige Einrichtung ihrer Art, die aus der Araberzeit erhalten blieb. Bei dem öffentlichen Verfahren werden hauptsächlich Streitigkeiten zwischen Bauern und Grundbesitzern geschlichtet und das bereits seit 960 n. Chr. Das Tribunal besteht aus acht schwarz gekleideten Richtern und jeder der Laienrichter wurde zuvor in einem der acht Wasserbezirke von den Bauern gewählt.
Das Gericht ist übrigens durch die spanische Verfassung legitimiert und die vom Tribunal mündlich gefällten Urteile unanfechtbar gültig. Es werden bis auf die Urteilssprüche keine Gerichtsakten geführt und es gibt keine Möglichkeit der Berufung gegen getroffene Urteile des Rats. Das durchgehende Bestehen des Gerichts seit über tausend Jahren, der ungebrochene Respekt gegenüber den Beteiligten sowie die Verfahrensprinzipien, welche modernen Anforderungen entsprechen, machen das Wassergericht von Valencia einzigartig.
Wir laufen nun weiter und schauen uns die Kathedrale an, zumindest von außen, denn die Innenbesichtigung kostet nicht nur Eintritt, sondern die Schlangen sind heute auch elendig lang. Wie viele spanische Kirchen wurde auch diese auf den Grundmauern einer Moschee errichtet, die ihrerseits bereits auf den Grundmauern eines römischen Tempels stand. Die Bauarbeiten an der heutigen Kathedrale begannen 1262 und wurden erst im 15. Jahrhundert abgeschlossen.
Markant ist der achteckige Glockenturm, der El Micalet, der im 14. Jahrhundert anstelle eines älteren Turmes erbaut wurde. Er ist 51 Meter hoch, was auch seinem Umfang entspricht, und in vier gleiche Teile unterteilt. Nur der obere, in dem sich die Glocken befinden, ist reich verziert.
An den Turm grenzt eine Barockfassade, denn die Kirche wurde im Laufe der Jahrhunderte in vielen Stilen aus- und umgebaut. Zwischen 1703 und 1741 wurde die reich verzierte Westfassade errichtet, die noch heute zu den wichtigsten Bauwerken des spanischen Barocks gezählt wird.
Vor der Kathedrale erstreckt sich die Plaça de la Reina, der Hauptplatz von Valencia, der heute eine Fußgängerzone ist. Auf dem Platz finden auch oft Veranstaltungen oder Märkte statt und gesäumt ist er von Restaurants und Geschäften, die sich in den unteren Etagen der historischen Bebauung befinden.
Wir biegen nun in eine der Seitengassen des Platzes ein, die uns wieder tiefer in das enge Geflecht der Straßen der Altstadt eintauchen lässt. Hier stoßen wir auf ein weiteres Gotteshaus, die Kirche Santa Catalina Martír, die der heiligen Katharina von Alexandrien gewidmet ist, die den Märtyrertod erlitt. Die Kirche selbst gehört ebenfalls zu den ältesten der Stadt und wurde auf den Grundmauern einer weiteren Moschee errichtet. Bereits 1548 musste sie jedoch nach einem Brand neu gestaltet werden und im spanischen Bürgerkrieg wurde das Gotteshaus ebenfalls stark in Mitleidenschaft gezogen, sodass in den 1950er Jahren eine weitere Rekonstruktion stattfand.
Die Gassen hinter der Kirche führen uns über kleine Plätze, an denen Wohnhäuser stehen, die nicht in ganz so gutem Zustand sind. Viele sind in den unteren Etagen auch mit Graffiti besudelt und es scheint irgendwie eine alternative Wohngegend zu sein.
Nach wenigen Metern sieht das Stadtbild aber schon wieder ganz anders aus und wir erreichen die Seidenbörse von Valencia, die Llotja de la Seda. Die Börse wurde im Jahr 1469 zunächst als Ölmarkt gegründet. Das Gebäude selbst wurde ab 1483 erbaut und der Entwurf entstammt einem ähnlichen Gebäude in Palma de Mallorca. Fertiggestellt wurde der spätgotische Bau im Jahr 1533 und seitdem als Seidenbörse genutzt.
Heute gibt es die Seidenbörse zwar nicht mehr, aber das Gebäude kann besichtigt werden. Und das lohnt sich auf jeden Fall, denn die Llotja de la Seda gehört zu den bedeutendsten Gebäuden der profanen Gotik in Europa. Das gesamte Gebäude steht auf rund zweitausend Quadratmetern Grundfläche und ist in vier Bereiche unterteilt. Einer der imposantesten ist wohl der riesige Säulensaal.
Interessant ist das hier übrigens mit dem Eintritt geregelt. Der ist nämlich für EU-Bürger kostenlos. Nur Touristen von außerhalb der EU müssen einen kleinen Obolus zahlen.
Vom Säulensaal geht es in die anderen Bereiche des Gebäudes, darunter der Consulat de la Mar, der über eine Treppe aus dem Innenhof erreicht werden kann.
Seit dem Jahr 1996 gehört dieses beeindruckende Gebäude übrigens zum Weltkulturerbe der UNESCO und ist so besonders geschützt.
Nach der Besichtigung laufen wir um das Gebäude herum und erreichen so die Plaça del Mercat, den Platz des Marktes. An dessen Rand befindet sich aber nicht nur die Markthalle, die wir gleich noch besuchen werden, sondern auch die wunderschöne Kirche Sant Joan del Mercat. Auch sie wurde ursprünglich bereits im Mittelalter auf den Grundmauern einer Moschee errichtet, brannte jedoch ab und musste zwischen 1592 und 1700 im Barockstil neu aufgebaut werden.
Die Hauptattraktion am Platz ist aber der Mercat Central, die Markthalle im valencianischen Jugendstil, die zu den wichtigsten Sehenswürdigkeiten der Stadt gehört. Erbaut wurde sie zwischen 1914 und 1928 auf einer Grundfläche von rund achttausend Quadratmetern. Die Halle ersetzte einen Vorgängerbau aus dem Jahr 1839, der zu klein geworden war.
Heutzutage wird schon vor der Halle Handel betrieben und hier sieht man unverkennbar, dass man sich in Valencia auch in der Stadt der Paella befindet. In Valencia wird das spanische Nationalgericht hauptsächlich mit Kaninchen- und Hühnerfleisch zubereitet.
Die Markthalle ist aber auch im Inneren imposant. Sie wurde in der Form eines lateinischen Kreuzes wie eine Kirche errichtet und verfügt in der Vierung auch über eine Kuppel. Der zentrale Gang der Halle ist 107 Meter, der zweite, kleinere Gang 51 Meter lang.
An die große Halle grenzt noch eine weitere, kleinere Halle mit eigener Kuppel, in der sich der Fischmarkt befindet. Er zählt heute als der größte seiner Art in ganz Europa.
Mit dem Besuch der Markthalle endet der erste Teil unseres Stadtrundgangs durch Valencia. Uns qualmen bereits jetzt die Füße und so trennen sich die Wege von C. und mir. Während C. langsam zur Haltestelle des Shuttlebusses zurückläuft, will ich auch noch einen kurzen Schlenker durch die südliche Innenstadt machen. Doch davon erzähle ich auch dieses Mal erst im nächsten Kapitel.